Die Herrlichkeit des Lebens
Teil der Arbeit ist, doch an jenem Abend schrieb und schrieb er, richtig mit Hammer und Meißel, hatte sie das Gefühl, als wäre das Papier aus Stein, etwas, das sichnicht gerne fügt, aber endlich doch, und dann sah es beinahe leicht aus, nicht nur wie eine Qual, als würde er schwimmen, weit draußen vor der Küste, dachte sie, und immer weiter fort ins offene Meer.
Wütend ist er gelegentlich auch. Er wird dann sehr still, auf eine unheimliche Weise gefasst, je wütender desto mehr. Bisher hat sie angenommen, das komme bei ihm nicht vor, aber seit heute Morgen ist er außer sich. Die Eltern haben einen in Reichsmark ausgestellten Scheck über 31 Billionen geschickt, was leider bedeutet, dass es eine Zeit dauert, bis sie ihn haben, und in dieser Zeit hat er ein Drittel seines Werts verloren. Noch am Abend schimpft er. Er schreibt sehr lange an Ottla, die einen Besuch in Berlin plant, scheint sich zu beruhigen, dann wieder ärgert er sich, nicht mal das Essen schmeckt, was soll man zu der Sache bloß sagen. Die Eltern haben es gut gemeint, sagt sie, sie kennen die Verhältnisse nicht, hätten sie Einblick in die Verhältnisse, würden sie zu Tode erschrecken.
Lange nach zehn geht er noch arbeiten, die Geschichte über die alte Vermieterin, schon wieder zu Scherzen aufgelegt. Eine Frau Hermann lasse man besser nicht warten, sagt er, sie drängelt, wie ein Kind, das Schokolade will. Dann hört sie nichts mehr. Sie ist wach, sie liest, rechnet halb damit, dass er sie ruft, aber er ruft nicht, sie bleibt allein, als hätte er sie vergessen.
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E S IST SEIT LÄNGEREM DIE ERSTE G ESCHICHTE, an die er halbwegs glaubt, von der er weiß, dass er sie beenden wird, und in der Tat hat er sie so gut wie fertig. Sie ist nicht allzu lang, ein paar Seiten, aber er scheint es noch zu können, hat sogar daran gedacht, sie vorzulesen, was seit jeher ein gutes Zeichen bei ihm gewesen ist. Er arbeitet, er fühlt sich stark, sogar an M. hat er endlich schreiben können, über einen verbrannten Brief von ihr und einen von ihm, was seit Juli geschehen ist. Er fällt sofort in den alten Ton, was leider zur Folge hat, dass er sich nicht allzu präzise ausdrückt. Etwas Großes sei mit ihm geschehen, schreibt er zu Beginn, erwähnt die Kolonie, die ursprünglich vage Aussicht, nach Berlin zu gehen anstatt nach Palästina, wie unmöglich es ihm seit jeher sei, irgendwo alleine zu leben, doch auch dafür habe sich in Müritz eine in ihrer Art unwahrscheinliche Hilfe gefunden. Und nun ist er also in Berlin, seit Ende September schon, offenbar nicht allein, obwohl es dann doch so klingt. Er lebe fast auf dem Land in einer Villa mit Garten, die Wohnung sei die schönste, die er je gehabt habe. Das Essen ist so und so, schreibt er, der Gesundheitszustand, na ja, und dann, zum Ende hin, noch schnell eine Verbeugung vor den Luftgeistern, sogar das Wort Angst nimmt er in den Mund, an ziemlich prominenter Stelle, wie man sagen muss, denn mit dem Wort Angst, als schlage er für immer eine Tür hinter sich zu, beendet er den Brief. Er hat zweiAbende dafür gebraucht. Er ist froh, dass M. sein neues Leben nicht kennt, dass sie in Wien lebt, kürzlich scheint sie in Italien gewesen zu sein, weit weg von Steglitz, so gut wie unerreichbar.
Gleich mehrere Pakete und Päckchen sind dieser Tage eingetroffen, fein säuberlich nummeriert, damit man sieht, ob eines verloren gegangen ist, was leider vorkommt. Eine Flasche Rotwein hat die Mutter geschickt, ein Paar Hausschuhe, vier Teller, eine Riesenflasche hausgemachten Himbeersaft, dazu wie üblich Butter, sogar ein Grahambrot, obwohl er das Berliner Brot inzwischen bevorzugt. Morgen kommt Ottla. Er hat ihr eine Liste mit dringend benötigten Dingen geschickt, drei Küchenhandtücher wären schön, zwei Tischtücher, den mehrmals erwähnten Fußsack, auf den er sehr hofft, denn beim Schreiben hat er leider dauernd kalte Füße.
Anders als bei Max zweifelt er keine Sekunde am Erfolg des Besuchs, und tatsächlich verstehen sich Dora und Ottla auf Anhieb, auch wenn es nur für die paar Stunden ist, denn leider muss die Schwester am selben Abend zurück. Sollte Ottla Bedenken wegen seines Berliner Lebens gehabt haben, so sind sie sofort wie weggeblasen. Sie ist voll des Lobes über die Wohnung, die ländliche Umgebung, auch der Zustand des Bruders scheint derzeit kein Anlass zur Sorge zu sein, man merkt, sagt sie, dass es euch beiden gut geht, so schwierig die äußeren Umstände leider sind. Groß ist
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