Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Herrlichkeit des Lebens

Die Herrlichkeit des Lebens

Titel: Die Herrlichkeit des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kumpfmüller
Vom Netzwerk:
kaum verstehen, was er sagt, dass er schlecht liegt oder zu trinken will, wie müde er ist, ach so müde. Sei nicht böse, sagt er, und darauf sie: Ich dir böse? Wie könnte ich dir böse sein. Nach langer Zeit hat Ottla geschrieben, der sie sofort geantwortet hat. Liebe, schöne Ottla, hat sie geschrieben, dabei kann sie gar nicht richtig denken, sie fühlt sich taub und stumm und ist nur froh, dass Robert ihr das eine oder andere abnimmt.
    Gestern Abend im Lesezimmer haben sie sich erzählt, wie sie Franz kennengelernt haben. Sie redeten lange über seine Familie, das Geld, um das sie Ottla gebeten hat und das hoffentlich bald eintrifft. Robert ist nur ein paar Tage weg gewesen, aber man merkt, dass er an die drei Monate nicht glaubt, da es Franz täglich schlechter geht. Er schlägt ihr vor, die Korrespondenz an die Familie zu übernehmen, damit sie mehr Zeit für ihn hat, für sich, damit sie zwischendurch etwas Ruhe hat. Dass er selbst krank ist, merkt man Robert kaum an, er ist blass, eher schlank, aber längst nicht so schlank wie Franz in Müritz gewesen ist. Wenn sie über Müritz spricht, wird ihr immer noch leicht ums Herz, doch mitunter meint sie zu bemerken, wie sich die Bilder verändern, sie sind weniger bewegt, rücken in die Ferne, ohne rechte Verbindung zu dem, was hier und heute ist. Als würden die ersten Wochen mit ihm erstarren, wie ein Ding, das man in derHand hält, weil es einem einst unendlich viel bedeutet hat, eine Vase, ein bunter Stein, eine Muschel, die nicht mal ansatzweise überliefert, wie es gewesen ist. Am Nachmittag sitzt sie lange bei ihm auf dem Balkon, wo er in der Sonne liegt und schläft. In der Regel wacht er auf, wenn sie in der Nähe ist, aber diesmal nicht, er schläft tief und fest, mit geschlossenem Mund, wie ein König, muss sie denken, jemand, dessen Gedanken nicht leicht zu erraten sind, als wäre er ihnen allen schon sehr fern, mit allen möglichen Überlegungen beschäftigt, wie früher, wenn er am Schreibtisch saß.
    Franz hat seit Tagen kaum gesprochen. Doktor Hoffmann hat eine Schweigekur verordnet, an die er sich meistens hält. Er redet mit kleinen Zetteln, auf denen er Fragen oder Gedanken notiert, anfangs mit einem gewissen Widerwillen, als nehme er die Sache nicht sehr ernst, als wäre es nur ein vorübergehender Spaß, den er als ehemaliger Beamter nur zu gut versteht, und tatsächlich tut er die ersten Male, als zeichne er Akten ab, oder als handele es sich um wichtige Dokumente. Dora muss sich erst daran gewöhnen, aber nach einer Weile findet sie es schön, sie hat seine Schrift, die Gespräche werden nicht unbedingt bedeutsamer, aber vielleicht genauer, zugleich stellt sich heraus, dass es auch ohne Worte geht; man kann sich an der Hand fassen, man hat Augen, man kann nicken, die Stirn runzeln, und hat die meiste Zeit die Empfindung, in Verbindung zu sein. Leider isst er nicht mehr. Er gibt sich alle erdenkliche Mühe, aber er kann nicht, nicht wegen des Halses, der fast ohne Schmerzen ist, sondern weil er den Appetit verloren hat. Dora versucht ihn zu überreden, sie beschwört ihn, aber immer öfter schüttelt er den Kopf, fühlt sich zu Unrecht gelobt und dann wieder zu Unrecht getadelt, nennt es eine unnütze Mühe, verliertden Glauben. Wie ich euch plage, das ist ganz verrückt, schreibt er. Und ein andermal: Wie viele Jahre wirst Du es aushalten? Wie lange werde ich es aushalten, dass Du es aushältst? Und dann nimmt sie nur wahr, dass er in Jahren denkt und die drei Monate von Doktor Beck nicht glaubt, der womöglich nicht erkannt hat, wie groß die Kräfte sind. Ein inneres Feuer, stellt sie sich vor, etwas, das sich erneuert, vielleicht nicht nur aus sich selbst, aber zum größten Teil, weil er liebt und wiedergeliebt wird, aus seiner großen Zuneigung zu allem und jedem.

[Menü]
9
    S EIT R OBERT IM S ANATORIUM IST, wirkt Dora ruhiger. Sie ist nicht mehr so gehetzt, liest gelegentlich ein Buch, näht oder sitzt am Tisch und erzählt Schnurren von anderen Patienten, die zu allen Tageszeiten in einem der Gemeinschaftsräume anzutreffen sind, die berühmte Baronesse, an der er sich ein Beispiel nimmt. Was nichts daran ändert, dass ihm das Essen immer öfter widersteht, allein der Geruch, wenn Dora ins Zimmer tritt, und er weiß, jetzt muss er sich ihr zuliebe zwingen. An den Verkehr mit den Zetteln hat er sich leidlich gewöhnt. Es gibt einen gewissen Zwang zur Sparsamkeit, der ihm nicht fremd ist, aber manches bleibt doch ungesagt, in den

Weitere Kostenlose Bücher