Die Herrlichkeit des Lebens
bedrückt, als hätte er eine Ahnung, und so gibt es verschiedene Rückschläge, abends in ihrem Zimmer, wenn sie wieder hofft, wenn sie an die Baronesse denkt, wenn sie nicht wahrhaben will, dass das Beispiel der Baronesse für Franz nicht gilt. Sie hat mit Robert telefoniert und ohne großes Bitten erreicht, dass er die Tage zurückkehrt und ihr bei der Pflege hilft. Auch mit Max hat sie telefoniert, ihm offen gesagt, dass es keine Rettung mehr gibt, was sie der Mutter und Elli so bisher verschwiegen hat, auch weil sie nie richtig fragen, aus alter Gewohnheit, als wäre die Krankheit ein niemals endendes Auf und Ab. Franz hat den Besuch des Arztes einfach hingenommen, er hat nicht gefragt, woher und warum, sogar das leidige Geld ist kein Thema gewesen. Er ist sehr schwach, aber er lächelt, wenn sie kommt, er hat Schmerzen, man kann es bei jedem Bissen sehen, dabei gibt er sich alle Mühe, es vor ihr zu verbergen. Am Abend trinkt er Wein, fragt nach der Post, wann mit Robert zu rechnen ist, was Max am Telefon gesagt hat, der sie demnächst besuchen will, nun gut, wenn es Max ist, denn sonst möchte er niemanden bei sich haben.
Jetzt wartet sie auf Robert. Vielleicht kann dieser Robert ja etwas erreichen, oder Franz selbst, denn im Grunde kommt die Rettung immer aus einem selbst. Seit dem Besuch von Dr. Beck ist die Lage unverändert. Dank der Injektionen kann er schlafen, aber vielleicht, so fürchtet sie, sind die Injektionen ja schlecht und rauben den Selbstheilungskräften die letzten Möglichkeiten. Sie weiß es nicht. Mal ist ihr einziger Wunsch, dass er nicht leidet, mal tröstet sie sich mit Beschwörungen, dass Franz leben muss, dass ein Wunder weiterhin nicht ausgeschlossen ist. Vorhin am Telefon hat sie Elli versprochen, täglich zu schreiben, aber die Wahrheit ist, sie schafft die Telefonate kaum, sie fühlt sich leer und stumpf, bittet um Verständnis. Bitte, ich werde nicht jeden Tag schreiben, verteidigt sie sich brieflich, ich halte es nicht aus, habt Erbarmen mit mir. Gestern hatten sie ein paar glückliche Stunden. Franz wollte neuerlich Wein, den er mit der ihm eigenen neugierigen Freude und ohne Schmerzen getrunken hat. AusgerechnetElli schreibt sie davon. In Müritz, als sie dachte, Elli wäre seine Frau, hatte sie keinen allzu günstigen Eindruck von ihr, aber jetzt betrachtet sie sie fast als Vertraute, seit dem Hilferuf aus Wien, auf den sofort Antwort kam, mit lauter warmen, herzlichen Formulierungen.
Am liebsten schreibt sie bei ihm im Zimmer, ein paar Zeilen an die Eltern, während er im Bett liegt. Es ist der erste Brief seit dem Besuch des Arztes, aber sie erwähnt nur das anhaltend kalte Wetter, die gute Luft, die Verpflegung, die sie gelegentlich selbst übernimmt. Das Federbett nebst Überzügen und Rosshaarpolster haben sie erhalten, das Kissen leider nicht, wahrscheinlich liegt es auf dem Postamt in Wien, wenn sie demnächst in Wien ist, wird sie sich erkundigen. Sie grüßt ausdrücklich den Vater, weniger, weil Franz darum gebeten hat, sondern weil sie viel an ihren eigenen Vater denkt, der bis heute nicht geantwortet hat. Vielleicht ist seine Antwort ja schon unterwegs, aber welche Antwort wird das am Ende sein, da er nur auf seinen Wunderrabbi hört. Auch Franz hat vor Jahren die Bekanntschaft eines Wunderrabbis gemacht, und so, wie er es erzählt, klingt es fast komisch, ein wilder bärtiger Mann im Seidenkaftan, darunter die Unterhosen sichtbar. Allein die Vorstellung bringt sie beide zum Lachen. Franz scheint weiter guter Hoffnung zu sein, er wünscht sich das grüne Kleid, für den Fall dass, und dann hält sie es eine Zeit für möglich, wider besseres Wissen, so wie fast alle Träume wider besseres Wissen sind.
Mit der Ankunft von Robert schöpft sie neue Kraft, als bekäme sie besser Luft, denn seit Wochen ist sie die meiste Zeit gerannt. Sie kümmert sich um die Post, die Telefonate, in denen sie weder lügen noch die Wahrheit sagen darf, die Einkäufe, das Essen, alle paar Stunden eine Mahlzeit,etwas, das sie für ihn holt und dann wieder nach unten in die Küche bringen muss. In den letzten Tagen ist Franz nur selten aus dem Bett gekommen, deshalb hat sie es übernommen, ihn zu waschen, was ebenso schön wie schrecklich ist, denn überall sind nur Knochen, die fiebrige Haut, die sie vorsichtig mit Küssen bedeckt, mit der ungenauen Empfindung, etwas Verbotenes zu tun, als hätte sie ihn nie so sehen dürfen. Er hat aufs Neue zu flüstern begonnen, manchmal kann man
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