Die Herrlichkeit des Lebens
Nächten die Angst, die Enttäuschung, dass noch keine Post von Doras Vater da ist. Vielleicht, so denkt er, hat der Rabbi die Heirat überraschend befürwortet, und der Vater möchte dem Rat nicht folgen, oder umgekehrt, der Rabbi ist dagegen, und der Vater, aus Anhänglichkeit gegenüber der Tochter, sucht nach einem Ausweg. Vom Verlag müssten täglich die Korrekturfahnen für den neuen Erzählband eintreffen, allein deshalb verspürt er eine gewisse Unruhe. Aber solange man wartet, denkt er, ist die Hoffnung nicht zuschanden. Wenn er nur ein bisschen zu Kräften käme und das Essen nicht so mühsam wäre, könnte er sich schon einiges denken, ein Leben auf dem Land, in der Nähe von Ottla, falls man das einen Gedanken nennen darf, denn seit Wochen besteht sein Denken überwiegendaus Wiederholungen. Auch die Arztbesuche wiederholen sich. Aus Wien ist Prof. Hajek gekommen und hat vergeblich eine Alkoholinjektion gegen die Entzündung des Kehlkopfs versucht, ein Dr. Glas hat sich angesagt, es gibt neue Medikamente und neue Ratschläge, alle zwei Tage ein Bad wird ihm verordnet, was im ersten Moment ganz und gar unmöglich scheint, aber mit Hilfe Doras wird es schließlich möglich.
Am nächsten Tag ist Ottla zu Besuch. Sie hat seit Langem gedrängt, man hat mehrfach telefoniert, auch sein Schwager Karl wollte unbedingt kommen, gegen Mittag sind sie da. Es ist ein wenig traurig, unter diesen Umständen, aber alle geben sich Mühe, denn wer weiß, wann man sich das nächste Mal trifft, außerdem fühlt man sich bei dem herrlichen Sonnenschein doch einigermaßen beschwingt. Reden soll er weiterhin nicht, und so hat er jede Menge Arbeit mit den Zetteln. Man erzählt sich Geschichten aus den Prager Zeiten, die komischen Zimmer, die er gehabt hat, wie der Vater damals, vor Jahren, auf die Käfergeschichte reagiert hat, dieses schreckliche Insekt oder was immer es gewesen ist, ein paar Episoden aus Zürau. Gegen zwei gehen Karl und Dora essen. Nur Ottla kann sich nicht entschließen, sie steht in der Tür, seltsam bewegt, endlich bleibt sie. Sie habe sehr viel an ihn gedacht, sagt sie, wie froh sie ist, dass er Dora hat. Man merkt, dass sie noch etwas anderes sagen will, aber das ist schwer, sie nimmt mehrmals Anlauf, dabei weiß er es auch so. Ist Ottla nicht immer eine Art Spiegel für ihn gewesen? Sie möchte wissen, wie es ihm wirklich geht. Du musst nicht lustig sein wegen mir, sagt sie, worauf er sich umständlich bei ihr bedankt, für die Monate in Zürau, für alles, was sie für ihn getan hat. Alle fürchten sich, sagt er flüsternd. Aber da er sich selbst am meisten fürchte, sei es gewiss verständlich.Sie nickt, sie fürchtet sich wie die anderen, flüstert sie, und nun ist ihm doch beinahe unbehaglich mit ihr. Sie sieht ihm zu, wie er sich mit dem Essen abmüht, seine stümperhaften Versuche mit Doras Suppe. Dann ist nicht mehr viel. So schnell sie gekommen sind, so schnell sind sie wieder weg. Karl nickt nur kurz, als er sich verabschiedet, während Ottla sich immer noch nicht losreißen kann. Hand in Hand mit Dora steht sie da, und das ist vielleicht das Schönste, denkt er, dass sie so zusammenstehen, wie Schwestern.
Sein Verhältnis zu Robert hat sich schnell entspannt. Früher, wenn ein Brief kam, fühlte er sich oft bedrängt, die Sätze hatten etwas Forderndes, als wäre das, was er Robert gab, nie genug, ja, als hätte Robert ein weitergehendes Recht auf ihn, wie ein Geliebter, was ein durchaus unangenehmer Gedanke war. Aber das ist vorbei. Robert gibt nicht den geringsten Anlass, unzufrieden mit ihm zu sein, im Gegenteil, er kümmert sich aufopferungsvoll, ist in der Nähe, wenn man ihn braucht, in den Nächten, wenn Dora schläft, dann steht er manchmal in der Tür oder neben dem Bett, mit einem frischen Wickel, einer Medizin, einem guten Wort. Sogar waschen lässt er sich von Robert, was Dora zwar nicht recht ist, aber inzwischen ist es doch sehr beschwerlich, man muss ihn heben und wenden, und dafür fehlt ihr doch die Kraft. Oft wäscht sie ihm das Gesicht, mit einem feuchten Lappen, sodass er von Zeit zu Zeit ihren Geruch hat, während Robert die peinlichen Szenen wie nebenbei erledigt. Er ist froh, dass Ottla gestern alleine gekommen ist, denn auch der Onkel hat sich für heute angesagt. Er ist wie immer auf eine hemdsärmelige Art laut, redet sehr lange und weitschweifig über das Reisen, das wunderschöne Venedig, das er allen Beteiligten als Stadt nur wärmstens empfehlen könne, sitzt
Weitere Kostenlose Bücher