Die Herrlichkeit des Lebens
Heiserkeit, die gelegentlich beim Sprechen hindert. Vor allem freut er sich für Dora. Sie ist wie verwandelt, seit Robert da ist. Manchmal wechseln sie sich ab, dann wieder sitzen sie zu dritt, man plaudert über den neusten Klatsch aus Prag, von wo soeben Post gekommen ist, die zu beantworten neuerlich Dora übernimmt. Die Eltern haben ausdrücklich darum gebeten, und jetzt ist sie sehr stolz und fragt in aller Vorsicht nach dem Federbett, sie habe bereits überlegt, in Wien eins zu kaufen, aber dann würde er sie hinauswerfen. Der Doktor lacht, als er das liest, er mag, wie sie schreibt, ihre wunderlichen Formulierungen, dass er schon brummen werde, weil sie so wenig Platz zum Schreiben gelassen habe, dabei ist es ihm nur recht. Er mag ihre Schrift, von der sie weiter behauptet, sie werde der seinen immer ähnlicher, er mag ihren Ernst, wie sie sich bedankt, dass sie das Amt des Schreibens übernehmen darf. Es ist manchmal wie früher im Büro, fast täglich gibt es Briefe zu beantworten, auf dem Tisch stapeln sich die Umschläge. Sie beugt sich tief über das Papier, wenn sie schreibt, irgendwie gebückt, wie unter einer Last, die man gerne trägt, als wäre das Schreiben eine heilige Handlung.
Abends im Bett fragt er sich, was aus ihr wird. Wenn er nicht mehr da ist, in welche Richtung sie sich dann bewegen wird. Es ist traurig und seltsam, so an sie zu denken, allein, ohne ihn, obwohl sie die ganzen ersten Jahre in Berlin ohne ihn gewesen ist und sich nie darüber beklagt hat. Mit geschlossenen Augen meint er zu wissen, dass sie nicht verloren gehen wird, denn sie ist zart und zugleich robust, so jedenfalls hat er sie kennengelernt. Er hätte sie heiraten können, ja, er könnte es noch immer. Warum eigentlich heiratet er sie nicht? Der Gedanke kommtetwas spät, wie er zugeben muss, mit einem Gefühl der Leichtigkeit, jetzt, da er kaum begreift, warum er sie nicht bereits in Berlin gefragt hat. An ihre Antwort denkt er gar nicht. Er denkt an F., warum sie von Anfang die falsche Frau gewesen ist, aus der Ferne an M., ohne großen Schmerz, als wäre M. die folgerichtige Antwort auf den Irrtum der Verlobung gewesen. Bis zum Abend bleibt er in gehobener Stimmung. Auf seinem Nachttisch liegt ein Belegexemplar der Prager Presse, in der seine Josefine erschienen ist, auch das ist ein Grund zur Freude, dazu Dora im neuen Kleid, ja sogar das Essen ist ihm willkommen, er kann sich nicht erinnern, wann er zuletzt mit so gutem Appetit gegessen hat.
Die halbe Nacht denkt er darüber nach, weniger über das Ob als das Wie, denn er möchte keinen Fehler machen; es gibt Regeln, an die er sich zu halten gedenkt, dazu die üblichen Bedenken wegen der Eltern, wenngleich ihn seine Eltern gerade nicht kümmern. Er darf es nicht aus schlechtem Gewissen tun, denn oft hat er ein schlechtes Gewissen, dass er sie in dieses Leben geführt hat, damals, in Müritz, als er das meiste schon hätte sehen müssen. Vor allem aus Dankbarkeit darf er sie nicht heiraten. Seine Dankbarkeit ist ohne Zweifel, aber sie allein wäre kein guter Grund, der Segen ihres Vaters scheint ihm plötzlich wichtig, denn vielleicht geht es ja auch um einen Neuanfang als Jude. Am nächsten Morgen macht er ihr den Antrag. Viel sagen muss er nicht, sie sagt sofort ja, sie hat soeben das Frühstück gebracht, und nun das. Aber warum?, fragt sie, als wäre es ihr im Traum nicht eingefallen. Muss man Gründe haben, um zu heiraten? Es soll nicht umsonst gewesen sein, dass du jung gewesen bist für mich, deine Küsse, das Stammeln, all die Nächte, die Geständnisse. Aber nein, sagt sie, und dann noch einmal: ja,wenngleich sie sich nicht vorstellen kann, dass der Vater sein Einverständnis gibt. Vielleicht träume ich ja, sagt sie. Hast du mich wirklich gefragt? Aber der Vater; leider kennt er ihren Vater nicht. Vor Wochen habe ich zwischendurch gedacht, ich schreibe ihm von uns, was uns geschehen ist, wie wir leben. Nach den ersten Sätzen habe ich nicht weitergewusst. Aber warum umsonst? Liebster, sagt sie, eben in dem Moment, als Robert klopft. Sie hat Mühe, sich zu fassen, der Doktor ist ihr hundertmal durchs Haar gefahren, deshalb sieht sie ziemlich verstrubbelt aus. Zum Glück hat Robert nichts bemerkt, allerdings scheint er zu stutzen, ob es gute Neuigkeiten gebe, und dann verrät Dora, worin die guten Neuigkeiten bestehen.
Für den Brief braucht er bis zum nächsten Vormittag. Er wird nicht sehr lang, an die zwei Seiten, auf denen er sich vorstellt, Alter,
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