Die Herrlichkeit des Lebens
Beruf, seine Jahre in der Anstalt, dass er seit über einem Jahr pensioniert ist, dann etwas über die Familie, Eltern, Geschwister, sein Verhältnis zum Judentum. Er versucht erst gar nicht zu verhehlen, dass die Bindungen nicht sehr stark sind, allerdings habe er durch die Begegnung mit Dora manches gelernt. Er erwähnt die Besuche in der Hochschule, vielleicht ein wenig zu unterwürfig, warum er sich auf dem richtigen Weg glaubt. Von der Krankheit spricht er nur am Rande, dass er sich derzeit zur Behandlung in einem Sanatorium bei Wien befinde. Dora sei bei ihm, sie sei über alles unterrichtet, und so bitte er um ihre Hand, im festen Glauben, ihr ein guter Ehemann zu sein. Da er nicht mal ein Foto von Doras Vater kennt, ist es schwierig, die richtigen Formulierungen zu finden, man weiß nicht recht, an wen man sich wendet, aber Dora ist mit allem einverstanden, für sie zählt allein, dass er sie gefragt hat. Sie ist noch nie auf einer Hochzeit gewesen, sagt sie, die erste Hochzeit,auf der sie sein wird, ist ihre eigene, im Mai, hofft sie, wenn sie nach draußen können, nach unten in den Garten. Ottla natürlich müsste dabei sein, Elli, die Kinder, die Eltern, wenn ihnen der Weg nicht zu weit ist, dazu Judith und Max, vielleicht auch nur Max und Ottla. So ungefähr könnte es sein. Ja? Der Brief ist noch nicht auf der Post, sie wird ihn nachher wegbringen, der Umschlag ist beschriftet, und dann müssen sie eben warten.
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S EIT ER SIE GEFRAGT HAT, fühlt sich Dora wie ausgewechselt. Sie meint, ganz neue Kräfte in sich zu spüren, sie darf nicht nachlassen, um ihn zu kämpfen und sich darum zu kümmern, dass er endlich in die richtigen Hände kommt. Sie brauchen einen kompetenten Arzt, jemand, der ihn nicht zu den Verlorenen zählt, sondern sich etwas einfallen lässt. Am Telefon hat ihr Max gesagt, an wen sie sich wenden kann, und so fährt sie Anfang Mai unter einem Vorwand nach Wien in die Klinik und bucht einen weiteren Arzt, mit Termin für den Nachmittag. Auf dem Rückweg im Zug schreibt sie an Elli. Sie gibt offen zu, was sie getan hat, Franz dürfe niemals davon erfahren, vor allem was sie jetzt bittet, denn sie braucht dringend Geld, nur dieses eine Mal, wenn der Arzt Franz untersucht habe, werde er gewiss alles Notwendige veranlassen. Professor Neumann. Selbst herauskommen kann er leider nicht, stattdessen schickt er einen Dr. Beck, der auf die Minute pünktlich erscheint, ein bulliger Mann, der sich viel Zeit nimmt und eine komplizierte Alkoholinjektion gegen die Schmerzen unternimmt. Aber viel mehr ist nicht möglich. Der Kehlkopf und ein Teil des Kehldeckels sind weitgehend zerfallen, und eine Abtötung des Nervs will leider nicht gelingen. Das klingt nicht gut, aber was bedeutet es? Dora führt Dr. Beck in das Lesezimmer, wo gerade niemand ist, dort sagt er ihr die Wahrheit. Drei Monate noch, sagt Dr. Beck. Er rät zu einer Überführung nach Prag, wassie sofort ablehnt, denn bringt sie Franz nach Prag, weiß er sofort, dass er verloren ist. Diese Entscheidung überlasse er selbstverständlich ihr, sagt Dr. Beck. Offenbar hält er sie für seine Frau, weshalb sie ihn beinahe korrigiert und verzweifelt darüber nachdenkt, was genau er gesagt hat. Sind die drei Monate das Minimum oder Maximum? Sie bringt Dr. Beck zur Tür, wünscht ihm eine gute Rückreise nach Wien, sieht ihm lange nach, wie betäubt, gegen den Türstock gelehnt, bis sie allmählich zu begreifen beginnt.
Robert scheint seit Langem damit gerechnet zu haben. Er versucht sie am Telefon zu trösten, rät ihr zu einem kleinen Spaziergang, denn in diesem Zustand kann sie sich Franz nicht zeigen. Das Gehen tut ihr gut, sie hat nicht gewusst, wie weit man in einer Stunde gehen kann, bis weit in die Weinberge hinauf, wo sie eine Weile am Rande einer Wiese sitzt und über das Leben nachdenkt, die verbleibende Zeit mit Franz, wütend und verzweifelt, dann wieder erstaunlich ruhig, auf eine trotzige Art bereit, sich zu fügen. Alles ist entsetzlich, aber es breitet sich doch eine gewisse Ruhe in ihr aus. Sie weint und betet, den ganzen Rückweg, auf dem sie mehrmals fast stürzt, und dann noch einmal bis zum Morgen, an dem sie Franz wie üblich das Frühstück bringt. Franz wird von ihr nicht erfahren, wie es um ihn steht. Sie werden sich trauen lassen und hier zusammen leben. Hat sie nicht von Anfang an gewusst, dass sie für jeden Tag dankbar sein muss? Die gestrige Injektion hat ein wenig geholfen, trotzdem wirkt Franz
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