Die Herrschaft der Drachen 01 - Bitterholz
Die Leiche von Vendevorex liegt noch im Thronsaal. Sie ist eine Beute, für die der König uns beide reich belohnen wird.«
»Einverstanden«, sagte Kanst. Seine polierte Rüstung glänzte im Licht der Morgensonne. »Wir haben uns siegreich von der Burg zurückgezogen, um die Dorfbewohner zusammenzutreiben. Wir werden die Burg innerhalb einer Stunde erobern.«
Jandra wandte sich von der Mauer ab und lief zurück zum Thronsaal. Sie hatte Pet gesucht und aus dieser Entfernung nicht alles genau erkennen können, aber es war offensichtlich, dass Bitterholz sich ergeben hatte. Die Hinrichtungen waren beendet worden. Warum also fühlte sie sich nicht besser?
Während sie durch die Korridore lief, musste sie ständig um Leichen herumgehen. Sie hätte gern geglaubt, dass die Beschützer der Burg mehr als nur die Mauern verteidigt hatten. Sie waren gestorben, als sie sich Albekizans Grausamkeit und seiner Vision einer Welt ohne Menschen entgegengestellt hatten. So entsetzlich es gewesen war zu sehen, wie der Junge durch Kansts Klinge gestorben war, sie wusste, dass diese Gräueltat verblassen würde angesichts dessen, was noch bevorstand.
Wenn die anderen Sonnendrachen von dem Angriff auf Chakthalla erfuhren, würde sie das dann dazu bringen, sich gegen den König zu erheben? Oder würden sie stattdessen
vor ihm niederknien und jedem wahnsinnigen Plan zustimmen, den er sich ausdenken mochte? Sie fürchtete, dass es so sein würde. Nur Vendevorex konnte eine Veränderung herbeiführen. Er würde jetzt auf sie hören. Er musste es tun.
Aber als sie den Thronsaal betrat, schnappte sie entsetzt nach Luft. Vendevorex war wieder ohnmächtig geworden, und seine Aura der Unsichtbarkeit war verblasst. Jetzt kauerte ein gewaltiger Sonnendrache über Vendevorex’ hilfloser Gestalt. Auf ihren entsetzten Schrei hin drehte der Drache ihr sein Gesicht zu. Er trug eine schwarze Kapuze, die sein Gesicht verhüllte, so dass sie nur seine Augen sehen konnte. Jandra hatte nie einen Drachen mit einer solchen Maske gesehen. Sie fand es unheimlich, und es schien ihr Beweis genug dafür zu sein, dass dies ein Diener von Albekizan war – zweifellos ein weiterer Attentäter.
Jandra wusste, dass sie nur eine geringe Chance gegen einen Sonnendrachen hatte, selbst wenn sie nicht bereits erschöpft gewesen wäre. Dennoch ballte sie die Fäuste und machte sich zu einem letzten Kampf bereit. Sie beschwor erneut die Illusion der Flammen um ihre Hände.
»Geht von ihm weg«, fauchte sie und trat mit so viel Selbstbewusstsein näher, wie sie aufbringen konnte.
»Jandra«, sagte der Drache und trat zurück. »Ich will ihm nichts tun. Ich bin hier, um zu helfen.«
Jandra hielt inne. Sie kannte die Stimme des Drachen nicht, der sich hinter der Kapuze verbarg. »Woher wisst Ihr meinen Namen?«, fragte sie. »Wer seid Ihr?«
»Ein Phantom«, sagte der Drache mit müder Stimme.
»Ein schwaches Echo des Wesens, das ich einst war. Ich habe Gerüchte über einen Plan gegen Albekizan gehört und bin herbeigeeilt, um der Sache nachzugehen. Es sieht so aus, als wäre ich zu spät gekommen.«
»Wir haben diese Schlacht verloren«, gestand Jandra. »Aber kein Krieg wird in einer einzigen Schlacht entschieden. «
»Vielleicht nicht. Aber die Neuigkeiten über dieses Gemetzel werden jeden Gedanken an Rebellion unter anderen Sonnendrachen ersticken.« Der maskierte Drache seufzte; seine Stimme war voller Verzweiflung. »Albekizan braucht nicht den Respekt seiner Untertanen, um zu herrschen, wenn er lediglich ihre Furcht benötigt.«
»Furcht müsst Ihr im Überfluss haben«, erwiderte Jandra. »Ihr sagt, Ihr wollt Euch auf unsere Seite stellen, aber Ihr verbergt Euer Gesicht. Ihr wollt Euch schützen für den Fall, dass der Krieg verloren ist. Offensichtlich fürchtet Ihr um Euren Namen, oder um Eure Macht.«
Der Drache schüttelte den Kopf. »Ich habe keinen Namen mehr, noch irgendwelche Macht.«
»Dann habt Ihr nichts zu verlieren«, sagte Jandra. »Im Augenblick mangelt es mir an Verbündeten. Kann ich auf Eure Hilfe zählen?«
»Ich stehe Euch zu Diensten«, sagte der maskierte Drache mit einer höfischen Verbeugung.
Plötzlich erklang der Ruf eines Horns von den Burgtoren her.
»Klingt, als würden sie zurückkommen«, sagte Jandra. »Wir sollten Vendevorex wegbringen.«
»Wieso ist er überhaupt in den Thronsaal gebracht worden?
Mit solch schweren Verletzungen hätte er das Bett nie verlassen sollen.«
»Die Verletzungen sind ihm hier zugefügt
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