Die Herrschaft der Drachen 01 - Bitterholz
zurückkehrten.
»Das Mädchen ist durch Vendevorex’ eigene Hand zur
Waise geworden«, sagte Zanzeroth. »Der Zauberer hat ihre Eltern ebenso gedankenlos getötet, wie wir eine Fliege töten würden.«
Jandra riss die Hände vor den Mund, um nicht vor Überraschung aufzuschreien. Zanzeroth musste lügen. Aber wieso? Wieso sollte er lügen, wenn er nicht wusste, dass sie zuhören konnte? War dies ein Trick? Vielleicht wollte er, dass sie aufschrie und somit verriet, wo sie waren.
»Sehen wir, wohin ihre Spur führt«, sagte Zanzeroth. »Sie kann ihn nicht aus der Burg geschafft haben. Wir werden mit den Ochsenhunden zurückkehren.«
Jandra drehte sich zu Vendevorex um, als die Stimmen von Zanzeroth und Pertalon im Gang verklangen. Der Zauberer lag auf dem Boden und wandte den Blick von ihr ab. Das Phantom musterte ihr Gesicht mit traurigen Augen, als würde es eine schreckliche Wahrheit kennen.
»Ven?«, fragte sie.
»Wie p-praktisch, dass Zanzeroth nicht weiter ins Zimmer gekommen ist«, flüsterte der Zauberer und starrte zur Wand. »Wir haben also noch eine Chance.«
»Einverstanden«, sagte das Phantom. »Ich werde euch tragen. Wenn wir es schaffen, unsichtbar zu bleiben, können wir unbemerkt durchs Tor entkommen.«
»Ven?«, fragte Jandra und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Wieso siehst du mich nicht an?«
Vendevorex drehte den Kopf weit genug herum, um sie anzusehen. Schmerz vertiefte die Linien in seinem Gesicht. »Weil es w-wahr ist«, zischte er.
»Was?«
Vendevorex seufzte. Er schloss die Augen. Sein ganzer
Körper erschlaffte und sackte in sich zusammen. »Vor vielen Jahren, als ich am Hof des K-Königs ankam, war ich ein Niemand«, sagte er leise. »Ich hatte keine Verbündeten, die Albekizan hätten davon überzeugen können, mich aufzunehmen. Ich musste meine Fähigkeiten b-beweisen, um ihm zu zeigen, dass ich ein würdiges Mitglied seines Hofes sein würde. Albekizan prüfte mich, indem er mich einen Hof in der Nähe der Burg zerstören ließ.«
Jandra schüttelte den Kopf; sie konnte nicht glauben, was sie hörte.
Vendevorex sprach weiter. »Es war leicht, das Gebäude in Brand zu setzen. Den Mann und die Frau zu töten, die es verteidigten, war sogar noch leichter. Um meine Macht weiter zu beweisen, bin ich durch das brennende Haus gegangen und habe gezeigt, dass die Hitze und der Rauch mir nichts anhaben können. Über das Fauchen der Flammen hinweg habe ich deine Schreie gehört. Ich wusste nicht, dass sie ein Kind hatten.«
»Du hast meine Eltern getötet?«, fragte sie. »Als … als einen Beweis?«
»Ja«, sagte er. »Aber ich habe dich verschont. Ich … ich habe dich in deinem brennenden Bett gesehen, und du hast so … unschuldig ausgesehen. In dieser Nacht wusste ich, dass ich diesen Mord nur begangen habe, um meine selbstsüchtigen Bedürfnisse zu erfüllen. Ich habe mir nie etwas vorgemacht. Ich habe die kalte, berechnende Entscheidung getroffen, das Leben deiner Eltern zu beenden, um mein eigenes zu verbessern. Aber als ich die Unschuld in deinen Augen gesehen habe, da … Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich geschämt habe.«
»Ich kann das nicht glauben«, sagte sie und zwang ihre Tränen zurück.
»I-Ich habe versucht, Wiedergutmachung zu leisten«, sagte Vendevorex. Er klang, als würde er jeden Moment zu weinen beginnen. »Ich habe meine Macht seither weiser benutzt, hoffe ich. Ich habe versucht, Leben zu schützen, wenn ich die Gelegenheit dazu hatte. Du hast mich gelehrt, dass alles Leben kostbar ist, Jandra.« Er schloss die Augen und schüttelte reuevoll den Kopf. »Ich habe in dieser Nacht einen schweren Fehler begangen. Ich kann nur hoffen, dass ich im Laufe der Zeit bewiesen habe, dass ich seither Mitgefühl gelernt habe.«
Jandra richtete ihren Blick unverwandt auf sein Gesicht. Seine Worte, seine Gefühle waren aufrichtig. Die Reue für die Tat erfüllte ihn, aber das änderte nicht die Tatsache an sich. Er hatte ihre Eltern getötet. Er hatte sie in all den Jahren aufgezogen, um sein eigenes Schuldgefühl zu beschwichtigen. Ihre Beziehung zu ihm schien jetzt so klar zu sein. Er hatte sie bei sich behalten, um sich davon zu überzeugen, dass er etwas Besseres war als ein kaltblütiger Mörder.
Sie stand auf. Der Umhang der Unsichtbarkeit um sie herum löste sich auf. Sie drehte ihrem früheren Mentor den Rücken zu.
»Leb wohl«, sagte sie.
»Jandra«, sagte Vendevorex und streckte schwach einen Flügel aus, um ihren Rücken zu
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