Die Herrschaft der Drachen 01 - Bitterholz
die Gedanken an ihren ehemaligen Mentor beiseite. Solche Probleme hatte man, wenn man von jemandem aufgezogen worden war, der sich unsichtbar machen konnte: Jedes Mal, wenn sie einen Blick über die Schulter warf und nichts sah, befeuerte es nur ihren Verdacht, dass er tatsächlich da war. Vielleicht würde sie im Laufe der Zeit aufhören, ihn in jedem kleinen Flackern eines Schattens zu vermuten. Sie musste die Tatsache akzeptieren, dass es besser war, Vendevorex niemals wiederzusehen.
Sie konnte nicht glauben, wie gut die Mahlzeiten der Drachen rochen. Der Duft quälte sie.
Vorsichtig glitt sie aus Zeekys Umarmung. Sie breitete ihren Umhang über dem Kind aus, dann sah sie sich um, um sicherzugehen, dass niemand sie beobachtete, und warf eine Handvoll Silberstaub in die Luft.
Jandra bewegte sich unsichtbar zwischen den schlafenden Menschen hindurch auf einen kleinen Kreis von fünf Wachen zu, die sich an einer Feuerstelle wärmten. Sie kauten an verkohlten Knochen.
»Er kann es nicht sein. Sie sehen, was sie sehen wollen«, sagte eine der Wachen.
»Er soll ein Geist sein«, sagte ein anderer. »Wie können Ketten einen Geist festhalten?«
Der dritte schnaubte. »Wen kümmert es, ob er es ist oder nicht? Wenn Kanst und Albekizan zufrieden damit sind, ihn zu töten, wird unser Leben einfacher sein.«
»Er muss es sein«, sagte der vierte. »Er hatte die Pfeile.«
»Man hätte ihn an Ort und Stelle töten sollen«, sagte der fünfte Drache und warf einen angeknabberten Oberschenkelknochen über die Schulter. »Ich kann nicht glauben, dass Kanst sich tatsächlich das Zelt mit diesem Ungeheuer teilt.«
Jandra klaubte den Knochen vom Boden. Da war noch immer etwas Fleisch dran. Die Erddrachen waren schlampige Esser. Sie schob das Fleisch in eine Tasche ihres Umhangs und ging weiter.
Sie suchte Kansts Zelt. Diese Aufgabe erwies sich als einfach genug – es war das größte und zudem von den meisten Wachen umgebene. Unglücklicherweise hatten einige der Wachen angekettete Ochsenhunde bei sich. Unsichtbarkeit würde einen Ochsenhund nicht täuschen. Aber die Wachen und die Hunde wirkten ebenso mitgenommen und bereit zum Schlafen wie die Dorfbewohner. Tatsächlich schnarchte einer der Hunde bereits. Sie hielt den Atem an und ging auf Zehenspitzen zwischen ihnen hindurch.
Sie schlich auf die Zeltklappe zu. Als sie nach ihr griff, bewegte sich die Klappe plötzlich und wurde nach außen gedrückt. Jandra sprang zurück, als Kanst aus dem Zelt trat. Sie beeilte sich, ihm aus dem Weg zu gehen. Ob sie unsichtbar war oder nicht, es war nicht schwer, entdeckt zu werden, wenn ein Wesen mit einer Flügelspanne von vierzig Fuß an einem vorbeistrich. Kansts peitschenähnlicher Schwanz schwenkte auf sie zu, und sie sprang über ihn, als wäre er ein Seil.
»Passt auf, dass niemand reinkommt«, sagte Kanst zu den Wachen. »Ich muss Zanzeroth aufsuchen.«
Kanst stolzierte in die Nacht davon. Als sicher war, dass der General sich außer Hörweite befand, murmelte eine der Wachen zur anderen: »Wohl eher dieses Fässchen Goom im Zelt des Jägers.«
Jandra glitt durch die Lücke der Zeltklappe hindurch ins Innere.
In dem schwachen Licht konnte sie Pet kaum sehen; er lag ausgestreckt auf Kansts riesiger Schlachtentruhe. Schellen hielten seine Arme und Beine an den vier Ecken des Deckels fest, und ein Stahlband war um seinen Nacken gebunden.
Er lag so still da wie der Tod. Ihr Herz verkrampfte sich.
Aber warum sollten sie sich die Mühe machen und einen toten Mann anketten?
Sie ging näher zu ihm, bis sie seine Atemzüge hören konnte. Sie hatte erwartet, ihn voller Prellungen und blutüberströmt vorzufinden, aber er wirkte unverletzt. Kanst wollte seine Beute offenbar in gutem Zustand abliefern.
Sie machte sich sichtbar und legte vorsichtig eine Hand
auf seinen Mund, während er noch schlief. Er rührte sich und wachte auf.
»Ich bin es«, sagte sie. »Hab keine Angst.«
»Jandra«, flüsterte Pet, während sie die Hand zurückzog. »Was tust du hier? Und was in aller Welt hast du mit deinen Haaren gemacht?«
»Ich bin nicht hier, um über Frisuren zu reden. Ich bin gekommen, um dich zu retten.«
»Nein«, sagte Pet. »Ich habe mich entschieden.«
»So zu tun, als wärst du Bitterholz, wird nichts ändern. Du hast die Geiseln im Augenblick gerettet, aber Albekizans Plan, alle Menschen zu töten, gilt nach wie vor. Ich brauche jeden Verbündeten, den ich finden kann, um ihn aufzuhalten. Ich brauche dich frei und
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