Die Herrschaft der Drachen 01 - Bitterholz
weitermachte, war irgendwie erniedrigend. Offensichtlich benötigte er ihn nicht für die weitere Entwicklung des Königreichs.
Obwohl er also erfahren hatte, dass er für den Königshof nicht so wichtig war, wie er es sich manchmal eingebildet hatte, war er auch erleichtert. Was immer der König geplant hatte, der Zeitpunkt konnte nicht schlechter sein. Die Nachricht, die Metron wenige Augenblicke vor dem Aufruf des Königs erhalten hatte, machte es lebenswichtig, dass er blieb; Androkom war eingetroffen, der Biologe, der sich rühmte, das Geheimnis des Lebens zu kennen.
Der Gelehrte wartete mitsamt seiner Ausrüstung unten in Metrons persönlichem Studierzimmer.
Metron eilte die Steinkorridore und Treppen entlang, die zu dem darunterliegenden Labyrinth von Büchern führten. Als er in seinem Studierzimmer ankam, fand er die Tür weit geöffnet vor. Er hatte sie mit einem geheimen Schlüssel verschlossen, den nur ein anderer eingeweihter Biologe besitzen konnte.
»Androkom?«, fragte er und blinzelte in das dunkle Zimmer hinein.
»Ich bin hier«, sagte der andere Biologe. In der Dunkelheit erklang ein Quietschen, als das Gitter einer Öllampe aufgeschoben wurde. Das Licht enthüllte Androkom, der in der Mitte des Zimmers an einem Tisch saß. Seine blassblaue Gestalt war halb hinter einem Stapel Bücher verborgen. Eine abgenutzte Ledertasche lag auf dem Tisch vor ihm. Androkom hielt die Riemen der Tasche fest in seinen tintenverschmierten Vorderklauen, als er zur Begrüßung stumm nickte. Metron betrat den Raum und schob die Tür hinter sich zu. Er schnappte nach Luft, als er dabei bemerkte, dass sie nicht allein waren. Die üppig scharlachroten Schuppen der Brust eines Sonnendrachen füllten sein Blickfeld aus. Ein vertrautes Gesicht ragte über ihm auf.
»Shandrazel!«, rief er.
»Bitte«, sagte Shandrazel leise. »Senk deine Stimme.«
»Es war nicht leicht, sich mit einem Sonnendrachen von Shandrazels Statur zurück in die Burg zu schleichen«, erklärte Androkom. »Du wirst verstehen, dass wir lieber nicht entdeckt werden wollen.«
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Metron und zeigte mit dem Gehstock auf Androkom. »Unterstützt du den Prinzen? Das ist Verrat! Er ist durch die Pflicht daran gebunden, den König zu töten!«
»Unsinn«, sagte Shandrazel. »Ich habe nie irgendwelche uralten Verpflichtungen befolgt. Jetzt, seit ich weiß, wie künstlich diese sogenannten ›alten Traditionen‹ wirklich sind, fühle ich mich dazu noch weniger veranlasst. Androkom hat mir viel über die Wege der Biologen erzählt.«
»Sag mir, dass das nicht stimmt, Androkom«, blaffte Metron. »Du kannst ihm unmöglich die Geheimnisse der Eingeweihten verraten haben.«
Androkom nickte. »Doch, das habe ich. Zumindest habe ich ihm erzählt, was ich in der Zeit erzählen konnte, die wir hatten. Ich respektiere dich, Hohebiologe. Aber ich respektiere unsere alten Wege nicht mehr. Mit jedem weiteren Rang, den ich aufgestiegen bin, habe ich mehr Beunruhigendes erfahren. Shandrazel und ich glauben beide fest an die erlösende Kraft der Wahrheit.« Androkom spielte mit dem Gitter der Laterne, während er sprach, öffnete sie ganz, um das Zimmer so gut wie möglich zu erhellen. Der jüngere Biologe sah sich um und musterte die verstaubten Bände und die beschatteten Nischen von Metrons persönlichem Zimmer. »Das Buch von Theranzathax erklärt, dass Licht benutzt wird, um die Welt der Dunkelheit zu entreißen«, sagte er. »Wir glauben, dass es an der Zeit ist, den vernebelnden Dunst der Lügen durch die Laterne aufrichtiger Untersuchungen wegzubrennen.«
»Androkom«, sagte Metron und trat zum Tisch. Er stützte seine Vorderklauen auf den schweren Eichentisch und
beugte sich vor. »Du solltest diesen unbesonnenen Pfad, den du eingeschlagen hast, noch einmal überdenken. Ich kenne dich seit Jahren. Ich habe miterlebt, wie du in einem beinahe unvergleichlichen Tempo die Reihen emporgeklettert bist. Wieso willst du den Titel zerstören, den du dir so hart erarbeitet hast?«
Androkom begegnete Metrons verurteilendem Blick, ohne zu blinzeln. »Ich bin den Reihen der Biologen beigetreten, weil ich nach Wissen gestrebt habe. Es beunruhigt mich, dass meine Rolle darin bestanden hat, die Wahrheit zu verbergen, statt sie zu enthüllen. Zu viel von dem, was als allgemeine Tatsachen bekannt ist, ist lediglich sorgfältig zusammengesetzte Erfindung.«
»Ja!«, zischte Metron. »Sorgfältig zusammengesetzt! Erschaffen von den
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