Die Herrschaft der Drachen 01 - Bitterholz
stand. Aber was jetzt? Die Mauer war zwanzig Fuß hoch und bestand aus in den Boden getriebenen Stämmen.
Im Gegensatz zu ihr zögerte Bitterholz nicht. Er steckte seine Hände und Füße in die Lücken zwischen den Stämmen und erklomm die Mauer so rasch, als würde er über ebenen Boden gehen.
»Warte!«, sagte sie. »Du bist außer Reichweite!«
Bitterholz blieb nicht stehen. Er legte eine Hand oben auf die Mauer und zog sich hoch. Er setzte sich rittlings auf die Mauer und drehte sich um, starrte zu ihr hinunter. Er neigte den Kopf zur Seite.
»Du bist wirklich unsichtbar«, murmelte er.
»Ja«, erwiderte sie. »Aber du nicht. Jemand wird dich sehen. «
»Dann sollten wir uns beeilen«, sagte Bitterholz und warf das eine Ende des Seils in die Richtung, in der er ihre Stimme gehört hatte. »Versuch nicht zu klettern. Ich werde dich hochziehen.«
Jandra wickelte das Seil um ihre Hand und ihren Arm, und Bitterholz begann, sie hochzuziehen. Sie half ihm, indem
sie die Füße benutzte und in die breiteren Lücken setzte, wenn es möglich war.
»Ich sehe dich jetzt«, sagte er, als sie sich dem Mauerende näherte.
Er streckte einen Arm aus und nahm ihre Hand, zog sie das letzte Stück auf diese Weise hoch. Jandra sah sich nach Wachen um und bemerkte einen Wachturm in der Nähe, aber die Drachen darin starrten nicht in ihre Richtung. Stattdessen blickten sie zum Himmel. Jandra sah hoch und schnappte nach Luft. Sonnendrachen!
»Ich sehe sie«, sagte Bitterholz. »Aber ich glaube nicht, dass sie uns gesehen haben.«
Jandra begriff schon bald, dass das stimmte. Sie hatte ihn gerade rechtzeitig in das Feld der Unsichtbarkeit gezogen. Die Drachen hielten nicht auf sie zu. Sie schienen auf die Mitte der Freien Stadt zuzuschweben, zum großen Platz.
Albekizan persönlich führte sie an. Es war Monate her, seit Jandra ihn gesehen hatte. Der König war atemberaubend, wenn er flog, hatte breite, karmesinrote Schwingen, die von einer tiefen, muskulösen Brust angetrieben wurden. Er flog mit machtvollen, genauen Bewegungen, verriet seine große Fähigkeit, mit der Luft umzugehen. Tanthia folgte ihm. Die Königin war kleiner als der König, geschmeidiger, und ihre Schwingen zogen gelbe Seidenbänder nach sich, die im Sonnenlicht aufblitzten. Sie wirkte tatsächlich noch anmutiger in der Luft als Albekizan. Im Gegensatz zu dem eleganten königlichen Paar folgte Kanst ihnen mit langsamen, ruckartigen Bewegungen. Seine schwere Rüstung drückte ihn nach unten, und der große Drachenbulle schlug kraftvoll mit den Schwingen, erhob sich mit jedem
Schlag höher, bevor sein Flug ruhiger wurde und er hinunterglitt, die Höhe wieder verlor, die er gewonnen hatte. Es sah aus, als würde er weniger fliegen als vielmehr durch den Himmel klettern und stürzen. Zanzeroth hinkte noch weiter hinterher; die steifen Bewegungen seiner Flügel verrieten seine nur halb verheilten Wunden. Ein anderer Drache wäre mit solchen Verletzungen im Bett geblieben, vermutete Jandra, aber der hartgesottene alte Jäger war zu stolz, um seinen geschwächten Zustand zugeben zu können. Ein einzelner Himmelsdrache flog am Ende der Prozession, und zwar Pertalon. Trotz seiner Jugend und Kraft war Pertalon noch ein Stück hinter Zanzeroth, denn er trug eine Bürde bei sich, einen Kokon aus weißem Stoff, der etwas einhüllte, das wie der Körper eines Menschen geformt war.
Konnte es Pet sein? Konnte er es nicht sein? Sie hätte ihn befreien sollen, als sie noch die Möglichkeit gehabt hatte. Jetzt, da Vendevorex gegen den König kämpfen würde, gab es keinen Grund mehr, dass Pet sich opferte. So sehr sie Vendevorex hasste, sie bewunderte doch seine Fähigkeiten, und sie wusste, dass er, wenn er vorhatte, den König zu stürzen, es auch tun würde. Das weiße Bündel rührte sich, als die Drachen landeten. Sie fühlte sich ermutigt dadurch, dass er noch am Leben war. Jandra würde Bitterholz jetzt helfen. Wenn sie die Informationen gefunden hatte, die er brauchte, würde sie ihn darum bitten, im Gegenzug ihr zu helfen, Pet zu retten.
Kapitel Zweiundzwanzig
Mythos
M etron sah Albekizan mit seinem Gefolge von der großen Halle zur Freien Stadt fliegen. Er war eingeladen worden, den König zu begleiten, aber er hatte mit der Begründung, dass ihm das Wetter zu schaffen machen würde, höflich abgelehnt. Metron hatte vermutet, dass der König diese Antwort nicht gelten lassen und ihm einige Wachen schicken würde. Zu erfahren, dass der König ohne ihn
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