Die Herrschaft der Drachen 01 - Bitterholz
über seine Schulter hinweg. »Sie sind nicht bei einer Versteigerung verkauft worden, sondern zu Albekizan gelangt, um für ihn in der Küche zu arbeiten.«
Sie musterte die Namen neben Bitterholz’ Fingern genauer. Die ganze Zeit über hatten sie nach dem Namen seines Dorfes gesucht; er hatte ihr die Namen seiner Familie nie gesagt. Ihr Mund wurde trocken.
»Meinst du damit …« Freude breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Sie sind hier! Meine Familie befindet sich innerhalb dieser Mauern!«
Jandra antwortete nicht. Sie drehte sich von ihm weg. Vielleicht waren die Namen nur ein Zufall. Vielleicht handelte es sich um eine andere Familie. Vielleicht …
Bitterholz drehte sich um, und das Lächeln verschwand von seinen Lippen. »Was ist?«
»Ich … ich habe sie gekannt«, sagte Jandra, die ihm immer noch den Rücken zudrehte.
»Du hast sie gekannt? Was ist aus ihnen geworden? Wieso siehst du mich nicht an?«
Jandra wirbelte herum. »Weil sie tot sind! Jeder Mensch, der im Palast gearbeitet hat, ist tot. Albekizan hat ihren Tod als Vergeltung angeordnet, einen Tag, nachdem du Bodiel getötet hattest!«
Die Schriftstücke fielen Bitterholz aus den Händen, flatterten wie abgestorbene Blätter um ihn herum zu Boden.
Zeeky erwachte zu dem Klang von Stimmen irgendwo unten. Sie war in das nächstbeste Gebäude gelaufen, nachdem der Drache sie losgelassen hatte, und hatte sich den ganzen Tag auf dem Speicher versteckt. Dort hatte sie abwarten wollen, bis sich alles beruhigt hatte, um sich dann zurück zur Scheune zu schleichen.
Während des Tages waren jedoch neue Leute in der Freien Stadt angekommen, und es war Pech für sie, dass einige von ihnen aus all den hunderten leerstehenden Gebäuden ausgerechnet das zu ihrem neuen Heim wählten, in dem sie sich aufhielt.
Es war dunkel draußen. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war. Ein bestimmter Geruch in der Luft zeugte davon, dass es nicht mehr lange bis zur Morgendämmerung dauern konnte.
Die Worte der Männer, die sich in dem Zimmer unter ihr aufhielten, waren schwer zu verstehen, bis sie einen Namen hörte, den sie kannte: Kamon.
»Das kann nicht dein Ernst sein«, sagte die erste Stimme.
»Ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen«, sagte eine zweite. »Ich hätte ihn getötet, wäre er nicht von einem Dutzend Kamoniten umringt gewesen.«
»Ich stehe auf deiner Seite«, sagte die erste Stimme. »Wie auch meine Brüder. Kamon wird für seine giftigen Lügen bezahlen.«
Die Unterhaltung brach schlagartig ab, als ein lautes Donnern das Haus zum Erzittern brachte. Jemand hatte gegen die Tür getreten.
»Ihr Menschen!«, fauchte ein Drache. »Aufwachen! Geht sofort zum Marktplatz! Albekizan hat euch etwas mitzuteilen! «
Die Männer hoben protestierend ihre Stimmen, bis ein Peitschenhieb erklang und sie zum Schweigen brachte.
Plötzlich wurde die Klappe zum Dachboden aufgerissen, und der schnabelförmige Kopf eines Erddrachen kam zum Vorschein. Er blickte Zeeky geradewegs an.
»Komm da runter«, befahl er.
Es gab keinen Ausgang abgesehen von der Öffnung, in der der Drache stand. Glücklicherweise war sie klein, und Drachen waren langsam. Sie sprang hoch und nach vorn über seine Schulter, glitt sein Rückgrat entlang, als er vergeblich hinter seinen Rücken fasste und versuchte, sie festzuhalten. Sie packte seinen Schwanz und schwang ihre Füße nach unten, um in einer Position aufzukommen, in der sie sofort weiterlaufen konnte. Aber ihre Füße blieben wenige Zoll über dem Boden in der Luft hängen. Sie drehte sich um und stellte fest, dass ein zweiter Erddrache sie am Kragen gepackt hatte und auf Armeslänge von sich weghielt. Er sah sie an, als wäre sie nichts weiter als ein lästiges Insekt.
Blasphet flog einen Kreis über dem Marktplatz unter ihm. Es war früh am Morgen; die Sonne stieg gerade über den östlichen Horizont. Sämtliche Bewohner der Freien Stadt hatten sich auf dem Platz versammelt, unnachgiebig eingeschlossen von den Wachen, deren Reihen die von dem Platz wegführenden Straßen füllten. Die Menschen wirkten angeschlagen und orientierungslos. Durch seine Forschungen hatte Blasphet gelernt, dass Menschen in den frühen Morgenstunden höchst schwerfällig und gefügig waren. Offensichtlich wusste dies auch sein Bruder.
Die Aufmerksamkeit der Menge richtete sich auf eine große Plattform, die über Nacht hastig am einen Ende des Platzes errichtet worden war. Dunkelgrüne, schwer bewaffnete Erddrachen – beinahe die
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