Die Herrschaft Der Drachen 02 - Jandra
der von zweitausend ungewaschenen Männern kam.
Sie war sich nicht sicher, wie sie Ragnar am besten finden konnte. Sie hatte ihn kurz in der Freien Stadt gesehen – er war der nackte Prophet mit den aufgerissenen, wilden Augen gewesen, dem Pet, wie er gesagt hatte, sein Leben zu verdanken hatte. Sie hatte ihn auf Anhieb nicht gemocht. Er vereinigte
alle unangenehmen Züge in sich, die die Drachen den Menschen zuschrieben. Er war schmutzig, irrational und unzivilisiert. Wie hatte ein solcher Mann nur eine Armee von Drachen besiegen können?
Dann hörte sie über sich eine vertraute Stimme. Sie sah hoch. Die Mauer war an dieser Stelle etwa dreißig Fuß hoch. Sie konnte den Sprecher nicht sehen, aber sie war sicher, dass sie wusste, wer er war.
»Pet!«, rief sie und ließ jede Vorsicht fallen. War es wirklich möglich, dass er sich an dieser Rebellion beteiligte?
Einige Männer in der Straße blickten in die Richtung, aus der ihre Stimme gekommen war, aber da sie wegen ihrer Unsichtbarkeit nichts sahen, drehten sie sich wieder um.
Ein Soldat in einem zerlumpten Umhang beugte sich über die Mauer und starrte nach unten, wo sie stand. Das Gesicht dieses Mannes war missgestaltet, die Nase schief und gebrochen, seine schorfige Stirn wulstig und von blauen Flecken gezeichnet. Sein Kinn und seine Wangen waren von einem unordentlichen Bart bedeckt. Ihr sank das Herz. Es war nicht Pet.
»Jandra?«, fragte der Fremde und schob die Kapuze seines Umhangs zurück. Ein Kopf mit goldenen Haaren, die fettig und verfilzt waren, kam zum Vorschein. Sein Gesicht war mit Dreck und Blut und Erde verschmiert. Als sie im Schimmer der Fackel seine Augen sehen konnte, sah sie jedoch, dass sie das Blau der Schuppen eines Himmelsdrachen hatten. Sie kannte nur einen einzigen Mann mit solchen atemberaubenden Augen.
»Pet?«, fragte sie.
»Ja, ich bin es«, antwortete er. Er senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Was tust du hier?«
»Das wollte ich dich fragen!«
»Ich kämpfe darum, die Menschheit von den Drachen zu
befreien«, sagte er. Er verschwand hinter der Mauer. Sie hörte ihn sagen: »Übernimm du, Vance.« Einen Augenblick später tauchte er bei einer nahen Leiter auf. Er glitt das Geländer in einer geschmeidigen Bewegung herunter, die Jandra an ihre erste Begegnung erinnerte, als er sich als Akrobat dargestellt hatte.
»Wann bist du militant geworden?«, fragte Jandra. Pet näherte sich mit solcher Zuversicht, dass sie sich fragte, ob er sie sehen konnte.
»Seit Shandrazel angefangen hat, hilflose Frauen zu foltern«, sagte er und sprach jetzt zu der leeren Luft ein paar Fuß links von ihr. »Seit er für die Menschen alle Waffen als gesetzwidrig erklärt und mich als Verräter in den Kerker geworfen hat, weil ich dagegen war.«
»Er hat Frauen gefoltert?«
»Ja. Die Schwester der Schlange, die wir gefangen genommen haben.«
»Aber warum?«, fragte sie verwirrt. »Sie hatte keine Zunge. Was hätte sie ihm sagen können?«
»Ich glaube nicht, dass es einen Grund gab«, sagte Pet. Er drehte sich noch etwas herum und sprach jetzt direkt zu ihrem unsichtbaren Gesicht, kaum fünf Fuß weit weg. »Ich glaube, er hat kein Land mehr gesehen und wusste nicht mehr, was er tat. Er verlässt sich auf die besten Lektionen, die sein Vater ihm beigebracht hat: Die wahre Macht eines Königs liegt in der Streitkraft und der Angst, die er befehligt.«
Jandra zitterte bei diesen Worten. Sie erinnerte sich daran, wie Shandrazel voll neuer Hoffnung und Energie gewirkt hatte, als er sich vorgestellt hatte, dass sie ihm als Attentäterin dienen könnte. War dies jetzt Teil der Furcht, über die er herrschte? Und wenn Shandrazel auf das zurückgefallen war, was sein Vater ihm beigebracht hatte, war sie dann irgendwie anders?
Sie verließ sich auf die moralischen Entscheidungen von Vendevorex, um sich durch diese Angelegenheit zu manövrieren.
»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet«, sagte Pet. »Warum bist du hier?«
»Ich bin gekommen, weil ich … ich bin auf einer diplomatischen Mission hier. Ich muss mit Ragnar reden.«
»Ich kann dich zu ihm bringen«, sagte Pet. »Aber ich glaube nicht, dass er an Diplomatie interessiert ist. Und ich bin es auch nicht, um ehrlich zu sein.«
»Ich muss es zumindest versuchen«, sagte sie.
»Wenn Diplomatie bedeutet, Drachenschmiede aufzugeben, dann vergiss es«, sagte Pet. »Wir haben mit Blut für diese Festung bezahlt. Wir geben sie nicht auf.«
»Nicht einmal dann, wenn es weiteres
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