Die Herrschaft der Orks
und Verwirrung den Verstand verlieren zu müssen. Sie spürte, wie Dag, der lautlos zu ihr getreten war, ihr beruhigend die Hand auf die Schulter legte.
Diese Berührung gab ihr Kraft.
Genug, um zu tun, was getan werden musste …
»Es … es tut mir leid, Prinzessin«, hörte sie jemanden sagen. Sie blickte auf und sah Savaric vor sich stehen, in seinem Rücken die königlichen Leibwächter. »Ich versichere Euch, wir haben alles unternommen, um das Fieber zu bekämpfen, das Euren Vater so plötzlich befallen hatte, jedoch …«
»Jetzt ist nicht die Zeit dafür«, beschwichtigte Aryanwen ihn gefasst und wischte sich energisch die Tränen aus den Augen. »In seinem letzten Atemzug hat mein Vater mir die Herrschaft übertragen und die Zukunft des Reiches in meine Hände gelegt.«
»Und er hätte keine bessere und würdigere Nachfolgerin finden können«, entgegnete Savaric ohne Zögern und beugte das Knie. »König Tandelor ist tot. Es lebe Aryanwen, Königin von Tirgaslan!«
»Königin von Tirgaslan«, wiederholten die Leibwächter, und durch die Tränen, die erneut in ihre Augen traten, sah Aryanwen sie ebenfalls niederknien. Sie blickte an Dag empor, der noch immer bei ihr stand, die Hand auf ihrer Schulter, und ihr wurde klar, dass dies der Augenblick sein konnte, der alles veränderte. Der Augenblick, in dem zwei verfeindete Reiche zueinanderfanden und ein mörderischer Konflikt beendet wurde. Sie bedachte den Leichnam ihres Vaters mit einem letzten liebevollen Blick, dann erhob sie sich.
»Wir werden den Tod König Tandelors zu einem späteren Zeitpunkt angemessen betrauern«, erklärte sie. »Nun jedoch gibt es Dinge zu tun, die keinen Aufschub dulden.«
»Gewiss«, sagte Savaric, der sich ebenfalls wieder erhob. »Der Rückzug muss augenblicklich befohlen werden. Die königliche Leibwache wird Euch in Euer Zelt bringen, unterdessen werde ich dafür sorgen, dass …«
»Nicht so eilig. Ich werde augenblicklich nach Andaril zurückkehren.«
»Aber meine Königin …«
»Dies, Lord Savaric, ist Daghan, der Sohn Herzog Osberts von Ansun«, stellte Aryanwen Dag vor. »Er wollte meinem Vater eine Botschaft des Herzogs überbringen, in dem dieser um eine Unterredung auf neutralem Grund ersuchte mit dem Zweck, ein Waffenstillstandsabkommen zwischen unseren Reichen zu schließen.«
»Ei-einen Waffenstillstand?« Unverständnis sprach aus Savarics kantigem Gesicht.
Aryanwen nickte. »Die Kluft zwischen unseren Völkern muss überwunden werden. Nur gemeinsam können wir gegen das Zwergenreich bestehen und Erdwelt endlich wieder Frieden schenken.«
»Frieden.« Für einen Augenblick starrte Savaric sie an, als hätte sie den Verstand verloren. Dann schlich sich eiserne Entschlossenheit in seine Miene. »Ich bedaure, meine Königin«, flüsterte er dann, »das kann ich nicht zulassen.«
Dann ging alles blitzschnell.
Im selben Moment, in dem er sein Schwert herausriss, stieß Savaric einen lauten Warnruf aus. »Wache«, brüllte er aus Leibeskräften, »der ansunische Hund hat unsere Königin bedroht! Tötet ihn!«
»Verrat!«
Hell wie ein Hammerschlag drang der Ruf über die Turmplattform, von der aus Herzog Osbert und seine Getreuen gen Südwesten blickten. Atemlos hatten sie das Geschehen beobachtet, das sich jenseits des Flusses und der schützenden Mauern Andarils abspielte, hatten beobachten müssen, wie König Tandelor vom Pferd gestürzt war – und nun überschlugen sich die Ereignisse.
»Daghan wird angegriffen!«, meldete Alured, der vorn an den Zinnen stand und ein Fernrohr ans Auge hielt. »Es sind die Leibwachen König Tandelors!«
Rüde stieß der Herzog seinen Gefolgsmann zur Seite und warf selbst einen Blick durch die Röhre, nur um Alureds Worte bestätigt zu bekommen. »Verdammt!«, wetterte er. »Ich habe gewusst, dass diesen Verbrechern aus Tirgaslan nicht zu trauen ist – und Dag war so einfältig, ihnen zu vertrauen!«
»Was sollen wir tun, Herr?«, fragte Gilbert, der betagte Schwertführer von Ansun, ein kampferprobter Recke, über dessen Gesicht eine breite Narbe verlief.
»Das fragst du noch? Lass zum Angriff blasen. Wir unternehmen einen Ausfall!«
»Herr! Ist das klug? Wenn wir die Stadtmauern verlassen und den Fluss überqueren, geben wir damit unsere geschützte Position auf und werden verwundbar!«
»Glaubst du, das wüsste ich nicht?« Osbert musterte den Mann mit einem abschätzigen Blick. »Aber ich werde sicher nicht dabei zusehen, wie diese verräterischen
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