Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht
(zwei weitere gingen auf andere Täter zurück); dann kam jener 13. März 1881, an dem der Student Nicolai Ryssakow eine Bombe unter Alexanders Kutsche warf. Wenige Sekunden nachdem der Kaiser dem gefassten Terroristen Ryssakow in die Augen geblickt hatte, näherte sich ihm ein zweiter Mann – und der warf ihm eine Bombe direkt vor die Beine. Die Detonation riss Alexanders linken Fuß ab; wenige Stunden später erlag er seinen Verwundungen. St. Petersburg erstarrte im Schock.
Für den »Volkswillen« hatte sich dagegen ein Traum erfüllt. »Ich weinte, ebenso die anderen«, erinnerte sich die beteiligte Terroristin Wera Figner. Das Blut des Zaren habe die Grausamkeiten des Regimes gerächt und das Land befreit. »Eine schwere Last fiel von unseren Schultern«, schrieb Figner, »die Reaktion (so schien es uns) musste nun endlich der Arbeit zur Erneuerung Russlands weichen.« Sie täuschte sich. Gegen fünf enttarnte Verschwörer erging das Todesurteil. Die Explosion hatte zwar Alexanders Körper zerrissen, verpuffte ansonsten aber wirkungslos. Sie entflammte keinen Volksaufstand. Still trauerten die Bürger um ihren Zaren, dessen Nachfolger sich weit weniger reformfreudig zeigen sollten. Nach Alexander II. folgten Jahrzehnte des Stillstands. Dann war das Reich so morsch, dass es in sich zusammenfiel.
Absturz in Roulettenburg
Spielschulden und saurer Wein: Fjodor Dostojewski in Deutschland.
Von Carmen Eller
Wiesbaden im August 1865. Aus der Kurstadt schreibt Fjodor M. Dostojewski an seine Geliebte nach Paris: »Liebe Polja, meine Situation hat sich unwahrscheinlich verschlechtert. Kurz nachdem Du weggefahren warst, tags darauf, erklärte man mir am frühen Morgen im Hotel, man habe Anweisung, mir weder Mittagessen noch Tee oder Kaffee zu servieren.« Der Grund: »Der dicke deutsche Wirt sagt, Mittagessen verdiente ich nicht.« Der Brief an Polina Suslowa endet mit der Bitte um 150 Gulden, damit »ich diese Schweine bezahlen« kann. Der Schriftsteller steckt tief in Spielschulden. Seit seinem ersten Besuch in Wiesbaden 1862 ist der Russe dem Roulette verfallen, fast ein Jahrzehnt lang hat ihn die Spielsucht im Griff. Mehrfach reist er nach Deutschland und hockt tage- und nächtelang in den Casinos von Wiesbaden, Bad Homburg oder Baden-Baden.
Hauptgrund der Reisen ist allerdings seine angeschlagene Gesundheit. In den renommierten Kurorten erhofft sich der Epileptiker Genesung durch heilende Quellen. Nach ärztlicher Anweisung badet, trinkt und gurgelt er – und quält sich häufig. Heimweh und die in seinen Augen russenfeindlichen Deutschen machen ihm zu schaffen. Das Leben im Ausland sei schlimmer als Zwangsarbeit, schreibt er in einem Brief. Aus der »Hölle Baden-Baden« berichtet er, die Deutschen seien »alle ohne Ausnahme Wucherer, Schurken und Betrüger!« Aus Bad Ems schimpft er über den »miserablen« Kaffee und den einheimischen Wein, »dieses hochgradig saure Zeug«. Selbst in Dresden, wo er in der Gemäldegalerie auf einen Stuhl steigt, um die Sixtinische Madonna zu bewundern, klagt er über das »dumme deutsche Theater«.
Freilich bemühte sich Dostojewski kaum um Kontakt mit den Deutschen, wie die Slawistin Karla Hielscher in ihrer Studie »Dostojewski in Deutschland« betont. Seine zerstörerische Passion für das Casino aber verarbeitete er in seinem 1867 erschienenen Roman »Der Spieler«. Schauplatz ist eine fiktive deutsche Stadt: Roulettenburg. Die weibliche Hauptfigur, vor der sich der Erzähler in masochistischer Lust erniedrigt, heißt nach ihrem autobiografischen Vorbild Polina. Weil Dostojewski in Wiesbaden einen Vorschuss seines Verlegers verspielt hatte, dem er nun einen neuen Roman schuldig war, entstand »Der Spieler« unter Hochdruck – in nur 24 Tagen. Doch die Zeitnot erwies sich als Segen. Dostojewski bekam Hilfe von der jungen Stenografin Anna Snitkina. Die beiden verliebten sich und heirateten noch im gleichen Jahr. Dostojewskis erste Frau war 1864 gestorben. Anna lebte zeitweise mit ihrem spielsüchtigen Mann in Deutschland und ließ ihn nicht einmal fallen, als er die Eheringe ins Pfandhaus trug.
Es ist nicht bekannt, wie viel Geld Dostojewski in Deutschland verloren hat. Gewonnen hat er jedenfalls manche Erkenntnis. Etwa über den vermeintlichen Nationalcharakter der Deutschen. In einem bissigen Feuilleton spricht er von einer »allen Deutschen im Falle eines Erfolgs eigenen grenzenlosen Prahlsucht«. Dies gelte auch für literarische Figuren. So hält sich der Deutsche
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