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Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
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und musterte Bettina ungläubig.
    Dr. Ritter ließ die Luft wieder raus und drohte Krampe mit dem Finger. »Mein lieber Gregor!«
    Bettina neigte den Kopf zu ihrem neuen altväterlichen Freund und grinste Krampe an. Doch sie hatte nicht viel Zeit, sich zu freuen, denn schon wurde sie unerwartet fest am Arm gepackt und zu dem Buch gezogen. »Jetzt schauen Sie sich das Violett an! Hat es nicht etwas von einer Brombeere?«
    »Doch.« Bettina beugte sich über die unzweideutigen Bilder und sah aus den Augenwinkeln, wie Krampe die Bühne hinunterstapfte, sich kurz nach ihr umdrehte und den Raum verließ. Sie wäre ihm gern gefolgt, doch Dr. Ritter hielt ihren Arm beharrlich umklammert. Also diskutierte sie artig die Nuancen des echten Purpurs und erfuhr, dass es aus stacheligen Meeresschnecken gewonnen worden war, wehrhaften räuberischen Mollusken, die auf eine heute nicht mehr bekannte Art zerschmettert oder schlicht gemolken werden mussten und dann ein grünliches Sekret ausspien, das sich an der Luft leuchtend violett färbte. Dies Violett war die Farbe der Kaiser. Cäsar hatte es einst im Palast seiner Geliebten Kleopatra bewundert, er brachte es von dort nach Rom und begründete einen heute nicht mehr vorstellbaren Kult um die blutige Farbe. Alle römischen und byzantinischen Kaiser trugen Purpur. Und zwar exklusiv. Unter bestimmten Herrschern war es bei Todesstrafe verboten, sich darin zu kleiden, manche Kaiser erlaubten ihn ausschließlich Frauen und Generälen, und nur wenige dachten pragmatisch: Sie erhoben Steuern auf den Purpur und förderten seinen Verkauf. Denn der Farbstoff war so unermesslich teuer und begehrt, dass sich gute Geschäfte mit ihm machen ließen. Bei der Erläuterung dieses letzten Aspekts glänzten Dr. Ritters wässrige Augen, sein rundes Gesicht bekam ein kindliches Strahlen und Bettina fragte sich, ob er nachts von einem Purpurgroßhandel träumte.
    »Begreifen Sie nun?«, fragte er Bettina drängend. »Erkennen Sie, was diese Frau ist?« Mit der freien Hand wies er auf das kleinste Paar der Seite. »In einem Buch aus einer Zeit, da es in Konstantinopel noch Kaiser gab?«
    Bettina sah die Frau, sie lag unten. »War sie eine Kaiserin?«, riet sie verlegen.
    »Ich bitte Sie, wer würde denn eine Kaiserin so darstellen?«
    »Ja, eben«, sagte Bettina, die wünschte, Dr. Ritter würde ihren Arm loslassen.
    »Sie ist ein Witz«, sagte Dr. Ritter. Seine Augen erforschten Bettinas Gesicht. Er war sehr nah und sehr hässlich, schwarz und weiß. Sie wusste nicht, was er suchte. »Eine kleine böse Ironie am Rande.«
    Bettina lächelte mühsam. Dr. Ritter wandte sich wieder dem Buch zu. Und den vielen Umstehenden, die inzwischen ihm lauschten.
    »Diese Frau in Purpur«, sagte er schnurrend, »ist ein höchst pikantes Detail, ein winziger Seitenhieb auf Kaiserhaus und Adel. Und das in einem Buch, das sich nur ein Mitglied der Herrscherfamilie überhaupt leisten konnte.« Er ließ Bettina los, hielt sich am Pult fest und blickte seine Gäste der Reihe nach an. »Diese Ovid-Ausgabe ist die Hinterlassenschaft eines Libertins. Eines witzigen Freidenkers. Eines Genießers, eines Gelehrten, vielleicht sogar eines Literaten – eines potenten, mannigfach interessierten und unkonventionellen Mannes.« Schon tastete seine Hand wieder nach Bettina.
    Vergebens. Sie befand sich längst an der Tür.
     
    »Na, haben Sie Ihre Lektion in Farbenlehre gelernt?«, fragte Krampe, als sie endlich wieder in die Halle zurückfand. Er musste auf sie gewartet haben. »Hier.« Er reichte ihr ein frisches Weinglas mit blassgoldener Flüssigkeit darin.
    »Danke.« Bettina grinste. »Tja, mein Sohn würde sagen: Purpur ist eine voll geile Farbe.« Sie strahlte Krampe an und verstand nicht, weshalb der so entsetzt guckte.
    Er nahm einen ordentlichen Schluck Wein aus seinem Glas. »Sie haben ein Kind?«, fragte er dann vorsichtig.
    »Zwei«, sagte Bettina ernüchtert. Natürlich. Kinder durfte man beim Flirten nicht erwähnen, ebenso wenig wie Ehepartner oder Geliebte. »Ich bin alleinerziehend«, setzte sie rasch hinzu, wohl wissend, dass sie damit nicht viel gutmachte. Dass die Babysitterin bis zum nächsten Vormittag gebucht war, sagte sie natürlich erst recht nicht. Aber sie dachte es. Es ging nicht anders. Es hing mit ihrem Rock und den getuschten Wimpern und dem Wein und Krampes grimmigen Blicken zusammen. Eine winzige Sekunde nur ließ sie den Gedanken zu, doch die reichte, um ihr Gesicht gehörig zu erwärmen.
    Krampe

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