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Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
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eigentliche Hausherrin blieb brüskiert zurück. Verlegen drängten sich nun andere Gäste, die dank der aufsehenerregenden Erscheinung des Mannes die kleine Szene mitverfolgt hatten, an Frau Ritter vorbei. Sie aber stand da, mit einem sehr hässlichen Ausdruck auf dem Gesicht, und starrte die nichts ahnende Marny sekundenlang an. Und plötzlich fand Bettina, dass es nachlässig von ihr war, von der Marny nichts zu wissen, nicht einmal den Vornamen, wo sie doch selbst die Arbeiter draußen auf der Baustelle überprüft hatte. Sie beschloss, zur Abwechslung etwas zu arbeiten.
    »Frau Marny!«
    Die junge Frau drehte sich um, musterte Bettina kurz von oben bis unten – und lächelte charmant. »Frau Boll! Welche Überraschung! Ich muss vergessen haben, Sie einzuladen. Wie nett, dass Sie trotzdem gekommen sind.«
    »Ich bin beruflich da«, sagte Bettina knapp. Marny trug eine umwerfende Seidenbluse in exakt der Farbe von Bettinas Haaren.
    Die junge Frau grinste. »So wie immer?«
    »Frau Marny, Sie haben dieses Fest organisiert?« Bettina fragte sich, was in der Komplementärfarben-Paartheorie mehr zählte: das Kleidungsstück oder der Körperteil? Handeln oder Sein?
    Marny sah sich in der inzwischen fast leeren Halle um und seufzte zufrieden. »Ja.«
    »Das heißt, Sie können mir eine Gästeliste geben.«
    »Nein.« Marny wandte sich ab. »Das geht jetzt nicht.«
    »Wieso nicht?«
    Marny blickte groß zu Bettina zurück. »Soll ich etwa mitten auf der Feier ins Büro? Ich habe zu tun. Außerdem ist das eine Privatveranstaltung von Dr. Ritter. Die Gästeliste ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Die Journalisten kriegen sie auch nicht. Was wollen Sie überhaupt damit?«
    Sie haben, wenn ich sie brauche, dachte Bettina. »Sie möchten also nicht kooperieren«, sagte sie ernst.
    Marny blickte sich in der Halle um, warf eine seidige Haarsträhne zurück und sagte mit winzigem Zögern: »Ganz recht.«
    »Gut«, sagte Bettina. »Dann werde ich Frau Ritter bitten.«
    Sie sahen sich an. Marnys cognacfarbene Augen waren klar – und ein wenig starr. »Fein«, sagte sie.
    »Frau Ritter wird mir diese Liste mit Sicherheit organisieren, wenn sie erfährt, dass Sie, Frau Marny, nicht dazu bereit waren.«
    Da drehte Marny sich auf dem Absatz um und ging. Die Treppe hoch. Bettina folgte ihr.
     
    Eine halbe Stunde später war sie im Besitz aller Informationen, die sie brauchen würde, falls dem Kodex etwas passierte. Gäste, Belegschaft, Größe, Lage und Sicherheitsstandard der benutzten Räume, Zahl der privaten Wachmänner (vier) und Marnys Adresse und Vorname (Bianca). Zum Glück sprach die kleine Privatsekretärin gern über Sicherheit. Sie sah dann aus wie ein Rehlein, mit ihrem Augenaufschlag und der rotbraunen Bluse und dem hinreißenden Metallschimmer auf dem Haar. Nachtragend war sie auch nicht. Sie führte Bettina ganz stolz und freundschaftlich in eins der neu gestalteten Schlafzimmer, ein frivoler Mix aus karger Klosterzelle, schweren düsteren Holzrahmen und roten Stoffen.
    »Purpur«, sagte Bettina unwillkürlich, und Marny sah sie von der Seite komisch an.
    »Ist das Dr. Ritters Zimmer?«, fragte Bettina.
    Marny verschränkte die Arme, legte den Kopf schräg und sah ihr gerade ins Gesicht. »Das alles sind Dr. Ritters Zimmer.«
    »Natürlich«, sagte Bettina und dachte an den Vector. »Vermutlich gibt es nichts hier, was ihm nicht gehört.«
    Marny lächelte fein.
    »Haben Sie eigentlich diesen Bauarbeiter noch mal hier drin gesehen?«, fragte Bettina.
    »Oje, der Arme.« Die Sekretärin schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt, wollte ich Sie mit dem nur ein bisschen auf den Arm nehmen. Sie sind so unglaublich eifrig. Und so überzeugt, dass etwas ganz, ganz Schreckliches passieren wird.« Bedauernd zog Marny die Nase kraus. »Nun wird der Mann sicher von Ihnen verfolgt und ausspioniert, nur weil er sich mal unsere Bib von innen angucken wollte. Und dabei dachte ich, das ist der Unwahrscheinlichste von allen.« Sie schenkte Bettina einen Augenaufschlag, der an eine Frau im Grunde verschwendet war. »Der Gärtner, der immer der Täter ist. In unserem mysteriösen Fall des ungestohlenen Ovid.« Ein unwiderstehliches Grinsen schlich sich auf ihr hübsches Gesicht.
    »Des noch ungestohlenen Ovid«, sagte Bettina und kam sich dabei selber albern vor.
    Marny seufzte nachsichtig. »Sie glauben wirklich, dass das Manuskript geraubt wird? Heute?«
    »Die Gelegenheit ist günstig«, antwortete Bettina.
    »Stimmt.«

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