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Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
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Irgendwann gegen zwei saß sie dann endlich wieder allein in ihrem Büro. Da wunderte sie sich, dass die Wand noch voller Bilder hing, der Karton nach wie vor im Weg stand und alles, was heute geschehen war, tatsächlich erst in den letzten drei Stunden passiert sein sollte. Und obwohl ihre innere Unruhe sie die ganze Zeit getrieben und gemahnt hatte, mit der eigenen Arbeit fortzufahren und die Lösung für den Krampe-Fall zu erhaschen, solange sie noch greifbar in diesem Raum zu stehen schien, brauchte sie jetzt nur einen kurzen Blick auf den Computer und ihre Akte zu werfen, um zu wissen, dass sie heute nicht mehr das Geringste ausrichten würde. Genauso gut konnte sie zum Friseur gehen. Und da sie am nächsten Tag ein Date hatte, kein wirklich echtes, aber das erste seit Jahren, tat sie das auch.
     
    Der Salon, in dem sie zuletzt gewesen war, existierte nicht mehr. »Die sind schon seit drei Jahren drüben in Mannheim«, sagte der Angestellte des Reisebüros, in dem sich einst das Haarstudio Locke befunden hatte. Er betrachtete Bettina von oben bis unten und seine Gedanken konnte man regelrecht hören: dass ihr Outfit unheimlich gut zur Frage passte. Schäbige Jeans, abgestoßene Schnürstiefel, viel zu dünne Jacke und bunt geringelter Schal – so sah eine Frau aus, die den Umzug ihres Friseurs verpasste. Bettina stolperte hinaus und fand sich vor einer Boutique mit einer wunderschönen bestickten cognacfarbenen Lederjacke im Schaufenster wieder. Erst deren Anblick machte ihr richtig bewusst, was Krampe gesagt hatte: Es kommen wichtige Leute. Ein Millionär und seine Freunde aus Politik und Kultur.
    Sie brauchte dringend was zum Anziehen.
     
    Zwei Stunden später war ihr Bankkonto leer, ihr Gewissen in hellem Aufruhr und in der edlen schwarzen Papptüte neben ihrem Spiegel ruhte wohl verpackt die Lederjacke und noch so einiges andere. Bettina saß auf einem bequemen Stuhl in der Hairlounge Dina unter einem ihr bis dato unbekannten Gerät, das ihren Kopf wärmte. In den Haaren hatte sie eine wohlriechende Creme, die »erst mal einwirken muss«, und so wartete sie und lauschte dem Klappern der Scheren und dem Brummen der Föhns und den Gesprächen ringsum. Es ging um Stufen und Strähnchen und Kinder und Urlaube. Bettina dachte an Italien, sie schloss die Augen und träumte. Von einem alten Buch voller Geheimbotschaften. Eine davon war teilweise auf Deutsch geschrieben. Sie lautete: Bring mich zurück in die Strada Imboscata an der Piazza di Rimpiattino, Hausnummer 68, zweite Tür, dritter Stock im Hinterhaus, Roma.
    Als das Gerät zu summen begann und sie aufweckte, dachte sie ganz erschrocken, dass sie da wohl an verbotenes Wissen gerührt hatte, eine höchst private Quelle ihrer Vorgesetzten. Und während sie den Kopf gewaschen bekam und wieder richtig wach wurde, fragte sie sich, warum sie eigentlich so erschrocken gewesen war. Sie hatte im Traum nichts Verbotenes getan. Sie war nur auf eine interessante Frage gestoßen: wie Syra es geschafft hatte, die Herkunft des Ovid-Kodex an der Wissenschaft vorbei in eine bestimmte römische Bibliothek zurückzuverfolgen. Denn in Rom, das wusste Bettina inzwischen, unterhielten neben dem Vatikan zahllose Kirchen, Klöster und Privathäuser mittelalterliche Büchersammlungen, ganz zu schweigen von der Sapienza, einer der ältesten und größten Universitäten der Welt, die allein über 4000 einzelne Bibliotheken besaß. In Rom war es nicht schwierig, ein altes Buch zu stehlen. Es dem richtigen Besitzer zurückzubringen hingegen schon. Ohne Hinweis konnte Syra das nicht geschafft haben. Doch woher war der gekommen?
    »Wasser so recht?«, fragte die Friseurin.
    »Oh«, sagte Bettina. »Ja.« Und dann sprachen sie über Stufen und Strähnchen und Urlaube und Kinder. Bettina vergaß das Rätsel um die Herkunft des Ovid.
    Aber nur für eine Weile.
    Acht
    Aschenputtel auf dem Weg zum Ball, so fühlte sich Bettina am Samstagabend, und das war albern, denn sie war keine siebzehn mehr und sie sollte hier arbeiten. Doch mit hochgestecktem Haar und in einem Rock zu erscheinen war eben etwas anderes. Auch das Kloster sah verwandelt aus, alle Baumaschinen waren verschwunden, und das alte Gemäuer schimmerte moosig und märchenhaft in der Dämmerung. Dem angrenzenden Wald traute man im Zwielicht sofort alles zu, Wegelagerer und Wölfe, unheimliche Gewässer, verführerische Undinen und die rasende wilde Jagd. Auch die steil aufragende Kirchenruine mit den spitzen, leeren Fenstern

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