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Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
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schien das nicht zu bemerken. »Sie haben Eindruck auf Dr. Ritter gemacht«, sagte er und zog eine melancholische Miene. Überhaupt wirkte er an diesem Abend womöglich noch ernster und angespannter als sonst. Der elegante Intellektuelle, den Bettina im Fernsehen gesehen hatte, war völlig verschwunden, stattdessen stand ein fahriger blonder Junge vor ihr. »Sie sehen so anders aus als sonst«, sagte er, als könne er obendrein nur noch das wiederholen, was sie gerade dachte. Bettina fragte sich, ob er betrunken war.
    »Und Sie sehen aus, als ob Sie vergessen hätten, sich umzuziehen«, sagte sie, ohne nachzudenken.
    Worauf Krampe schrecklich beleidigt guckte, etwas Unverständliches murmelte und in der Menge verschwand. Bettina blieb konsterniert zurück. Sie trank einen Schluck Wein und wurde sofort wieder von der Seite angesprochen.
    »War das Ihr Freund?«, fragte ein kleiner glatzköpfiger Herr, außer Krampe der Einzige weit und breit, der keinen Anzug trug. Stattdessen war er in ausgefranste Jeans und ein blusenartiges dunkellila Hemd aus billigem Kattun gekleidet, mit einem Ausschnitt zum Binden.
    »Nein«, sagte Bettina und seufzte unwillkürlich.
    »Ts.« Der Glatzkopf blickte amüsiert. Er hatte sehr klare braune Augen und ein kleines, rundes Gesicht. »Nur Mut. Er wird es werden.« Er grinste. »Es sei denn, Sie entscheiden sich für jemand anderen.«
    Bettina lächelte. »Das könnte vielleicht passieren.«
    »Dass Sie sich für jemand anderen entscheiden?«
    Bettina nickte und seufzte wieder.
    »Darauf trinke ich.« Ihr Gegenüber sah ihr in die Augen und hielt sein Glas hoch. Darin befand sich kein Wein, sondern eine klare braune Flüssigkeit.
    »Was ist das?«, fragte Bettina und deutete auf sein Getränk.
    Er antwortete nicht. Er trank und lächelte sie bloß an.
    »Ich weiß nicht, was er hat«, sagte Bettina und drehte sich nach Krampe um.
    Der Glatzkopf hatte ein Einsehen. »Er mag Sie«, sagte er.
    »Nein.«
    »Ja.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    Der Glatzkopf beugte sich vor und blickte Bettina tief in die Augen. »Es ist die Farbe seines Pullovers«, sagte er mit gesenkter Stimme.
    »Was ist damit?«, fragte sie irritiert.
    »Na, das sieht man doch.«
    Bettina sah es nicht.
    »Das war genau die Komplementärfarbe zu Ihren Haaren. Paare, die sich so kleiden, funktionieren. Darauf kann man achtundneunzigprozentige Wetten abschließen.«
    Sie blickte an die Stelle, wo die Menge Krampe verschluckt hatte. »Aber den Pullover hat er sicher nicht wegen mir an.«
    »Egal wieso. Solche Dinge passieren unbewusst. Er hat ihn an, das reicht.«
    »Meinen Sie?«, fragte Bettina.
    Der Glatzkopf tätschelte ihre Schulter. »Na los. Hinterher.«
    »Und was ist mit den übrigen zwei Prozent?«, fragte Bettina, die nicht wusste, was sie Krampe sagen sollte.
    »Das sind die, die sich nicht trauen«, sagte Glatze mitleidig und drehte sich von ihr weg.
    Also ging sie Krampe hinterher.
     
    Sie gelangte in ein enges, weiß gekalktes Zimmer, in dem Essen angeboten wurde, winzige, mit Frühlingsblumen geschmückte Häppchen auf grauen Steinguttellern und schweren Leinenservietten, ein elegantes Crossover von Mittelalter und Nouvelle Cuisine. Bettina nahm sich ein Glas mit einem Rosenblatt, ließ sich vom Koch versichern, der Pudding darin sei die originale hochmittelalterliche Weißspeise, und dann wurde sie schon wieder hinausgetrieben in die Halle, die sich plötzlich leerte. Vermutlich sollten nun Reden gehalten werden. Also war Krampe sowieso vorerst unabkömmlich. Bettina sah den Leuten zu, die sich in Richtung Refektorium bewegten, und tauchte ihren zierlichen Silberlöffel in das Portiönchen Brei. Er schmeckte nach Mandeln, Grieß, Milch und Rosenwasser. In der Nähe des Eingangs sah sie die hübsche Frau Marny, die mit einer Gruppe von Leuten sprach. Soeben trat noch ein später Gast herein, ein auffälliger Mann, das Gesicht gerötet vor Kälte. Irgendwie kam er Bettina bekannt vor, sicher ein Prominenter. Mit derselben Eile, mit der er das Haus betreten hatte, stürmte er zur Mitte des Raums und sah sich suchend um, offenbar nach der Gastgeberin. Das veranlasste Frau Ritter, eine zarte, etwas verhuschte Brünette, ihren Gesprächspartner stehen zu lassen und auf den Neuankömmling zuzugehen. Der wiederum erblickte Marny und bahnte sich sofort mit aller Energie einen Weg zu ihr, schuf Raum um sie, machte sie lächeln, schüttelte ihre Hand und wurde schließlich von ihr ins Refektorium gewiesen. Die

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