Die Herzen aller Mädchen
folgten ihm in die Küche, die ebenso geleckt aussah wie der Rest des Hauses. Jaecklein stellte die Fragen. »Wo waren Sie heute Nacht?«
»Hier zu Hause.«
»Kann das jemand bezeugen?«
Der Hausherr platzierte Becher unter einer bereits geladenen und eingeschalteten Kaffeepadmaschine. »Meine Frau.«
Bettina begab sich ins Wohnzimmer zu der Frau. Die saß nun in der Essecke und schaute ihrer Tochter dabei zu, wie sie die Teletubbies konsumierte. Ihr Name war Vera, und genau wie ihr Ehemann besaß auch sie eine Attraktivität, die Bettina nicht ansprach: echt blonde, etwas rotstichige Haare über einem wenig ausdrucksvollen Gesicht. Nur ihre Stimme war hübsch. Melodisch gab Vera Schneider ihrem Gatten ein sicheres Alibi: Abendessen, Fernsehen bis halb zwölf, Bettruhe mit leichtem Schlaf und – das flüsterte sie leicht verlegen mit Blick auf die Tochter – Sex in den Morgenstunden. All das war normal und unanfechtbar und eigentlich intelligent vorgebracht. Dennoch war Bettina sehr bald davon überzeugt, dass die Zeugin log. Da war so eine unnötige Feindseligkeit, die von Vera Schneider ausging, ein Messen, der absurde Versuch, die andere stumm zu übertrumpfen in Mädchenhaftigkeit, Niedlichkeit und Naivität. Nicht, dass Bettina in diesen Disziplinen besonders bewandert gewesen wäre. Oder sich herausgefordert gefühlt hätte. Sie beobachtete eher interessiert, wie Vera Schneider sich beim Reden die langen, sorgsam geföhnten Haare glattstrich, wie sie gefällig Wimpern senkte und Augen aufschlug, einen Schmollmund zog, immer mit diesem Auftrumpfen im Blick, der zuweilen abglitt in kurze Abwesenheiten. Da saß eine Frau, gut in den Dreißigern, deren einzige armselige Unschuldsmasche die des zuckrigen Püppchens war, eine verlebte Cinderella mit einer dicken Schicht einfarbigen Make-ups auf dem verborgenen Erwachsenengesicht. Nur ihre zornige Stirnfalte hatte sie nicht zukleistern können, die stand steil und verräterisch über der Maske. Ob die Tochter, das wirkliche Kind, genauso schlecht log?
Bettina sah nachdenklich zu dem teilnahmslosen Mädchen auf der Couch, es rührte sich kaum, war spillerig, mausgesichtig und viel zu dünn, sechs Jahre vielleicht oder älter, es sah nicht glücklich aus, eher gewohnheitsmäßig unzufrieden und unnatürlich müde. Bei einem Hund hätte Bettina gesagt, der kriegt das falsche Futter. Sie traf Vera Schneiders Blick, und eine Sekunde lang sah sie nur blanke Leere ohne jede Emotion.
»Frau Schneider«, sagte sie da leise, »soll ich mal Ihre Tochter fragen, wo ihr Papa gestern Abend war?«
»Lea ist krank«, erwiderte Vera Schneider klar und süß. »Sie hat den ganzen Abend geschlafen.«
»Was hat sie denn?«
»Grippe.«
Bettina betrachtete das Mädchen erneut. Dann beugte sie sich vor. »Hören Sie«, flüsterte sie und schaute Leas Mutter drohend in die nicht wirklich arglosen Augen. »Das Buch, das Ihr Mann gestohlen hat, ist es nicht wert, Ihrer Tochter Drogen zu geben.«
Zack, driftete Schneiders Blick wieder ab in irgendeine unerreichbare Ferne. Bettina fluchte innerlich, doch sie sprach weiter.
»Wir werden es finden«, sagte sie. »Egal, wo Sie es versteckt haben.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, sagte Schneider, plötzlich unwirsch.
Sie sahen sich an. In der Küche rumorte es. Schritte waren zu hören. Diesmal hätte Bettina fast laut geflucht. Sie beugte sich noch weiter vor und wisperte rasch: »Eine Viertelmillion Euro Finderlohn.«
Schneiders Augen weiteten sich.
Bettina ließ sich zurücksinken und lächelte. Rasch lächeln, rasch reden. »Ich weiß nicht, was Ihr Auftraggeber zahlt«, flüsterte sie, »aber die Viertelmillion hätten Sie sicher, Frau Schneider. Sie selbst, nicht Ihr Mann. Ohne Gefahr, ohne Übergabe, ohne Beruhigungsmittel fürs Kind.«
Schneider biss sich auf die Lippen.
»Natürlich nur, wenn wir das Buch nicht bei Ihnen finden. Sie müssten es uns freiwillig geben. – Tja.« Bettina sah sich in dem bunten Wohnzimmer um. »Vielleicht wollen Sie ja raus hier? Einen Neuanfang wagen, so ganz ohne –«
»Schatz!«, dröhnte es davon hinten. »Stell dir vor, bei Dr. Ritter in der Bibliothek ist eingebrochen worden!«
Marc Schneider erschien, Jaecklein im Schlepp, zwei Tassen Kaffee in der Hand. Die eine stellte er vor Bettina ab und behielt selbst die andere. Jaecklein war schon bedient, Frau Schneider bekam nichts.
»Ich weiß«, sagte sie tonlos und starrte Bettina an.
Die nahm ihre Tasse, blickte hinein und
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