Die Herzen aller Mädchen
mal von uns überwacht.«
Syra blieb stehen und sah Bettina wieder an, weniger feindselig diesmal, eher prüfend. Trotzdem war es ein unangenehmer Blick, geeignet, um Menschen in Mäuse zu verwandeln. Um ihn zu ertragen, ließ Bettina das hässliche Gesicht der Chefin vor ihren Augen verschwimmen.
»… war eine andere Zeit«, hörte sie Syra sagen. »In den Sechzigern. Kalter Krieg. Es war ein bisschen albern von uns, einen Menschen zu bespitzeln, nur weil er Spionageromane geschrieben hat. Heute ist das nicht mehr gerichtsverwertbar.« Sie verschränkte die dünnen Arme. »Daher der Versuch, eine diplomatische Lösung zu finden. Doch den haben Sie ja jetzt gründlich vereitelt.«
Bettina fokussierte Syra schärfer. »Soviel ich weiß, hat Georg Krampe damals noch gar keine Spionageromane geschrieben.«
Syra starrte sie an.
»Das haben Sie selbst gesagt. Er war in Rom – auf Hochzeitsreise –, und er hat nebenbei für den Spiegel gearbeitet. Die Romane kamen erst später. Vielleicht als Antwort auf seine Erlebnisse in Rom?«
Syra schnaubte.
»Das BKA hat ihn überwacht. Warum?«
Syra schwieg.
»Egal, jedenfalls hat er sich in dieser Bibliothek mit seinem Interviewpartner getroffen. Haben Sie selbst gesagt. Und wenn Sie das wissen, dann wissen Sie auch, wer es war. Eine Frau?«
Schweigen und Funkeln.
»Gestern Abend«, fuhr Bettina tollkühn fort, da sie jetzt nicht mehr anders konnte als geradeaus nach vorn, »als ich den armen Dr. Ritter in Angst und Schrecken versetzt haben soll, hatte ich außerdem Gelegenheit, das berühmte Buch anzuschauen. Haben Sie es mal gesehen? Nein? Nun, auf den Rändern hat sich ein Paar verewigt. Zeitenmüll, so hat Ritter es genannt. Zwei Menschen haben sich Nachrichten geschrieben. In jüngerer Vergangenheit. Auf Deutsch. Mit italienischen Ausdrücken dazwischen. Und Abkürzungen. Von Treffen ist die Rede. Von vergeblichem Warten. Es bekommt schnell etwas Erotisches, aber zu Beginn geht es nur um einen Handel. Dass es schwierig ist, eine bestimmte Ware zu besorgen. Ich bin mir sicher, Sie wissen, welche Ware das war.«
Syra betrachtete Bettina und mahlte mit dem Unterkiefer. »Frau Boll«, sagte sie schließlich, »ich finde es unheimlich schade, dass Sie mit Herrn Krampe ins – hm, eine Liaison begonnen haben. Ich hätte Sie sonst wahnsinnig gerne fest bei uns übernommen.« Damit drehte sie sich um und schritt zum Kloster zurück.
Bettina zögerte einen Moment zu lang. »Halt!«, rief sie erst, nachdem Syra schon drei Meter entfernt war. »Warten Sie! Wer war es? Mit wem hat Georg Krampe sich getroffen?«
Syra lief weiter.
Bettina blieb stehen. »Etwa mit einer Verwandten von Anna Oberhuber?«, brüllte sie. »Mit ihrer Mutter? Frau Ritrovato?«
Syra stoppte, blickte Bettina böse an und legte den Finger an den Mund. »Schreien Sie nicht so! Wieso fragen Sie mich überhaupt? Sie wissen es ja!«
»Was wollten die beiden?« Bettina holte auf, so rasch sie konnte. »Was hatten sie vor? Wie sind sie zusammengekommen?«
»Sagen Sie’s mir«, schlug Syra verärgert vor.
»Ich weiß es nicht«, rief Bettina atemlos. »Haben Sie mit Frau Oberhuber gesprochen? Was war mit ihrer Schwester, dem kleinen Mädchen? Haben ihre Eltern sich getrennt? Hatte Frau Ritrovato etwa eine Affäre mit dem alten Krampe?«
»Steht das denn nicht in dem Buch?«, fragte Syra. »Mist, dass es jetzt weg ist, nicht wahr?«
»Ich –«
»Frau Boll«, unterbrach ihre Chefin. »Ich sag Ihnen jetzt noch was.« Sie schoss einen von ihren Todesblicken ab und Bettina verstummte. »Sie haben einem Mann, der mit Sicherheit tief in diesen Fall verstrickt ist und heute Morgen vermutlich vor einem unabhängigen Zeugen dies Haus verlassen hat, ein Alibi verschafft. Der Wachmann hat einen Mann von Krampes Typ gesehen, wie er um sechs Uhr aus dem Haus spaziert ist! Er hat eine Beschreibung abgegeben, die auf ihn passte! Und er war sich vorhin bei der Gegenüberstellung fast sicher, ihn wiederzuerkennen! Sind Sie denn sicher, Frau Boll, dass Herr Krampe die ganze Nacht bei Ihnen war?«
Bettina nickte.
»Sie haben nicht mal zwei Stunden geschlafen?«
Bettina schüttelte den Kopf.
Syras Augen wurden womöglich noch schwärzer. »Aber Sie bieten uns freundlicherweise einen Ersatzmann an, nicht wahr? Ich habe mit Jaecklein gesprochen. Er hat mir von Ihrem Bauarbeiter erzählt.«
»Den gibt es wirklich«, sagte Bettina.
»Natürlich«, sagte Syra eisig. »Denn Sie sind ja nicht dumm, Frau Boll.«
»Ich
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