Die Herzen aller Mädchen
hielt sie Marc Schneider hin. »Hätten Sie vielleicht Zucker für mich?«
Er gab unverzüglich weiter an seine Frau: »Zucker, Schatz.«
Und Vera Schneider stand auf und holte Zucker für Bettina. Die wiederum kramte gemütlich eine Karte mit ihrer Dienstnummer aus der Tasche.
Jaecklein tat dann alles, um Bettinas Bemühungen wieder zunichte zu machen, er war voll des Lobes für das terrakottafarben gestrichene Wohnzimmer, für den Ausblick auf die Felder, den Schnitt des Hauses, das brave Kind, den Geschmack der Hausfrau. Es ging so weit, dass Bettina der Verdacht kam, ihre eigenen Maßstäbe seien chaotisch und allzu unangepasst. Dies Kataloghaus musste für andere Menschen nicht unbedingt die Gruft darstellen, als die es ihr erschien, vielleicht war es sogar umgekehrt eine Art kollektives Traumziel, das nur sie allein aus irgendeinem Grund nicht teilte. Besorgt beobachtete sie, wie Vera Schneider die Visitenkarte mit der eigens notierten privaten Handynummer immer nachlässiger in den Fingern drehte, wie sie auflebte und ihr Blondhaar immer eifriger strich, sogar ein wenig Farbe bekam sie, rötliche Wangen, die durch speckiges Make-up schimmerten. Schließlich beteiligte sie sich am Gespräch und äußerte Verbindlichkeiten, die sich mit ihrer klaren Stimme klüger anhörten, als sie waren – »Ich interessiere mich sowieso nur für englischsprachige Bücher« zum Beispiel, oder »Lea ist leider sehr anfällig«. Zweifellos war sie die Intellektuelle in der Familie und vermutlich diejenige, die neben dem Zucker auch das Geld verwaltete. Diejenige, die jeden höheren Erlös der Viertelmillion vorziehen würde. Zumal sie ja nicht das Risiko trug. Das Schlimmste – der Diebstahl – war ohnehin schon geschafft, der Gatte würde auch die Übergabe noch machen, das Kind sein chemisches Schweigen ein, zwei weitere Male erdulden, und Vera Schneider selbst würde hingehen und sich eine neue Einbauküche für ihr kleines Paradies bestellen, terrakottafarben und mit viel Edelstahl. Bettina sah es. Sie sah diesen Traum förmlich in der Luft stehen, die Arbeitsplatte aus Olivenholz oder Granit, der Boden in schwarz-weißem, kleinem Terrazzomosaik, die Wände in Sichtmauerwerk, die Fensterbänke voller Kräutertöpfe, die Tochter, die fröhlich vom Reiten heimkam, der Gatte, der Geld ablieferte und anderswo Zucker forderte. Vera Schneider ließ die Karte auf ihren olivenholzfarbigen Tisch fallen und sah Bettina nicht mehr an. Und als sie einmütig mit ihrem Mann einer »routinemäßigen« Untersuchung des Hauses durch die Spurensicherung zustimmte, wusste Bettina, dass der Ovid nicht hier war und dass sie ihn heute nicht mehr finden würden. So bald sie konnte, zerrte sie Jaecklein beiseite, in den Flur, vor die Tür.
Draußen war die Luft herrlich klar und frisch. »Das Kind steht unter Drogen«, teilte sie dem Kollegen vom BKA sofort mit. »Irgendein Beruhigungsmittel, damit es nichts sagt. Eine Blutprobe, dann haben wir sie.«
Jaecklein sah schockiert aus. »Das kriegen wir niemals durch. Kein Richter wird uns das erlauben, und die Eltern erst recht nicht. Und ich glaube das auch nicht. Die Kleine ist krank.«
»Kranke Kinder sind nerviger«, sagte Bettina. »Kranke Kinder wollen Tee und Liebe und Kekse. Davon ist da drin weit und breit nichts zu sehen. Und gesunde Kinder in dem Alter hängen nicht so apathisch auf der Couch rum. Vor allem gucken sie nicht freiwillig Sendungen für Dreijährige. Mein Sohn ist auch in dem Alter, und der würde sich nicht mit der dicksten Grippe herablassen, diesen Teletubby-Babykram anzuschauen.«
Jaecklein betrachtete seinen schwarz glänzenden BMW durch seine schwarz glänzende Sonnenbrille. »Vielleicht ist die Kleine einfach gut erzogen«, sagte er.
Bettina starrte ihn an. »Passen Sie auf«, sagte sie in einem Ton, der ihr nicht zustand, »wenn Sie da wieder reingehen, müssen Sie aufhören, die Frau anzumachen.«
Jaecklein schob seine Sonnenbrille nach oben und starrte zurück. »Sie sind die Richtige, um das zu sagen! Wissen Sie eigentlich, dass ich Ihnen hier den Gefallen tue?! Und was heißt da überhaupt anmachen? – Haben Sie gesehen, wie der Mann sie behandelt? Dabei ist sie intelligent!«
»Eben«, sagte Bettina. »Die wird sich von Ihnen nicht einwickeln lassen, nur weil Sie die Schrankwand loben.« Sie sah Jaecklein fest in die braunen Hundeaugen. »Seien Sie eklig. Hören Sie auf, der Frau Komplimente zu machen, und erklären Sie ihr, dass ein Deal mit
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