Die Herzensdiebin
Seite, erhob sich und streckte Devlin die Hand entgegen. »Ich heiße Carrick Manly. Ich bin dein Halbbruder — und diese Phrase muss ich öfter sagen, als mir lieb ist.«
Diese leicht verwackelten Aufnahmen jüngeren Datums taten ihm unrecht. Er mochte Mitte zwanzig sein, war hoch gewachsen und hatte breite Schultern. Sein Haar war so dunkel wie Devlins, und die wachen, braunen Augen verrieten Intelligenz.
Devlin wurde das Gefühl nicht los, dass sie sich ziemlich ähnlich sahen, und als er Carricks Hand schüttelte, sagte er: »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.«
»Stimmt.« Carrick musterte ihn mit den gleichen abschätzenden Blicken. »Du siehst völlig anders aus als der letzte Halbbruder, dem ich begegnet bin.« Offensichtlich war Carrick bei den edelsten Familien an der Ostküste aufgewachsen; seine Stimme hatte diesen feinen, britischen Akzent, und obwohl die Kleidung, die er trug, nicht teuer war, stand sie ihm ungemein gut.
»Wer wäre das?«
»Er heißt Roberto Bartolini. Er ist Italiener.«
»Höchstens zur Hälfte.« Devlin bedeutete seinem Halbbruder, wieder Platz zu nehmen.
Carrick verbesserte sich. »Ja, italienisch-amerikanischer Herkunft. «
»Ich glaube, ich habe schon von ihm gehört. Sein Foto war in der Presse.« Devlin erinnerte sich an den Artikel in USA Today , den er vergangenen Monat am Flughafen gelesen hatte. »Hat er nicht diese berühmte Anwältin aus Chicago geheiratet, die so große Erfolge in der Verbrechensbekämpfung feiert?«
»Ich war auf der Hochzeit.« Als Devlin sich setzte, lehnte Carrick sich im Sofa zurück und wartete.
Für einen so jungen Mann legte er beachtlich viel Selbstvertrauen an den Tag, und Devlin bewunderte Carrick dafür, wie er mit der Situation umging. Denn schließlich konnte sein Halbbruder ja nicht wissen, ob er im Secret Garden Hotel auf offene Ablehnung, auf Spott oder kühle Distanz stoßen würde, und daher begnügte er sich mit abwartendem Schweigen.
»Hast du ihn gefunden?« Devlin konnte sich keinen anderen Grund vorstellen, warum Carrick plötzlich bei ihm auftauchte.
»Du meinst unseren Vater? Nein. Er ist auf und davon; das Geld ist weg. Keiner weiß etwas über ihn. Aber vielleicht hast du gehört — die Regierung wirft meiner Mutter vor, sie sei mitverantwortlich für den Niedergang von Nathans Industrieimperium und für das Verschwinden des Geldes. Ich wollte wissen, ob er dir oder deiner Mutter irgendetwas gesagt hat.«
Zorn stieg in Devlin auf. »Nach all den Jahren kommst du hierher und stellst mir diese Frage?«
»Devlin« — er zögerte, als er Devlins Namen aussprach —, »als mein Vater fortging, war es nicht leicht für mich und meine Mutter. Nathan ist nicht nur heimlich mit dem Firmenvermögen durchgebrannt, sondern auch mit einem Großteil des Familienvermögens. Meine Mutter konnte einen Teil des Vermögens retten und benutzte es, um das Anwesen zu erhalten, aber das andere haben wir verloren.« Carrick hielt eine Hand hoch. »Wir hatten viel Geld, mehr als andere Leute, bestimmt mehr als die anderen Halbbrüder. Dennoch, meine Mutter kann nicht mit Geld umgehen, und die Zeit war hart. Als ich versuchte, meine Halbbrüder aufzuspüren, merkte ich, wie schwierig dieses Vorhaben war, denn auch in dieser Angelegenheit hatte mein Vater versucht, seine Spuren zu verwischen. Außerdem fehlten mir die Mittel.«
»Ja, verstehe.« Devlin erkannte das widerwillig an.
»Nach all den Jahren hat uns diese Anklage völlig überraschend getroffen. Meiner Mutter geht es nicht gut, und sie ... sieht darin eine weitere Schande, die mein Vater uns zumutet. Sie weigert sich, selbst etwas zu ihrer Verteidigung vorzubringen, und jetzt muss ich ihre Unschuld beweisen. Das einzige Vermächtnis, das mein Vater mir hinterließ, sind meine Brüder. Durch sie hoffe ich zu entdecken, was eine echte Familie ist.«
Dieser Carrick weiß sich zu präsentieren , dachte Devlin. Er umriss seine Lebensumstände, brachte die Dinge auf den Punkt, und sein Anliegen ertrank nicht in Sentimentalitäten. Vor Jahren hatte Devlin den Gerüchten entnommen, dass Melinda und Carrick Manly genauso sitzengelassen worden waren wie Devlin; damals hatte er nur einen Gedanken gehabt: So hat es wenigstens nicht nur mich getroffen. Aber das war Jahre her, unmittelbar nachdem sein Vater sich aus dem Staub gemacht hatte. Er war damals sehr jung gewesen, und die Gewissheit schmerzte, nicht mehr zu sein als eine Kerbe an einem sehr verkratzten Bettpfosten.
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