Die Herzensdiebin
da nur ihre Hormone.
»Du musst also vorsichtig sein. Sehr vorsichtig.« Meadow hörte die Sorge aus Judiths Stimme heraus. »Was willst du jetzt machen?«
Meadow brachte es nicht übers Herz, von ihrer lächerlichen Lüge mit dem Gedächtnisverlust oder von seiner absurden Heiratslüge zu erzählen. Das hörte sich alles nach einer Komödie von Shakespeare an, und irgendwie kam sie sich wie in einem Theaterstück vor, abgesehen von den Küssen ... die verflucht sexy waren. »Ich habe ihn überredet, dass ich bleiben kann.«
Judith zögerte, und Meadow konnte förmlich hören, wie es im Kopf ihrer Freundin arbeitete. Judith war vermutlich intelligenter als alle Leute, die Meadow bislang kennengelernt hatte. Vielleicht nicht talentierter, aber eben intelligenter und obendrein ganz verrückt nach Erfolg — obwohl sie das zu verbergen suchte. Mom hatte Meadow einmal in einer ruhigen Stunde anvertraut, dass Judith ihre Ellbogen einzusetzen verstand, um Erfolg zu haben, aber Meadow hatte nie das Gefühl gehabt, von ihrer Freundin an die Seite gedrängt worden zu sein. »Hältst du es für klug, zu bleiben? Vielleicht gibt es noch einen anderen Weg.«
»Ich denke, ich habe keine Wahl. Er hat Wachpersonal und überall Alarmsysteme. Ich würde nicht wieder hineinkommen. Und ich muss dieses Gemälde haben.« Unweigerlich formte sich in Meadows Erinnerung das Bild heraus, wie ihre Mutter sich ein Tuch um ihren kahlen Schädel legte. Sie schluckte und kämpfte gegen die Tränen an. »Wir haben nichts davon gehört, dass es irgendwo entdeckt wurde, und wir wüssten doch als Erste davon. Gerüchte in der Kunstszene breiten sich wie ein Lauffeuer aus. Also muss es hier irgendwo im Haus sein. Ich muss es nur noch finden.«
»Ja, du hast recht. Aber wenn er all diese Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat ... wie willst du das dann anstellen?«
»Ich bin doch ein kluges Mädchen. Ich könnte die Alarmanlage ja für eine Weile abschalten und dann wieder einschalten.«
»Oh, meine Liebe, ich mache mir wirklich Sorgen um dich!«, platzte es aus Judith heraus.
»Ich weiß.« Meadow holte tief Luft. »Wie läuft's zu Hause? Glauben meine Eltern wirklich, dass ich in Atlanta bin?« Ihr war elend zumute, weil sie ihre Eltern belogen hatte, aber wenn ihre Mutter wüsste, was Meadow in Waldemar House vorhatte, wäre sie enttäuscht, und Meadow konnte es nicht ertragen, ihre Mutter zu enttäuschen.
Also war es für alle Beteiligten besser, wenn Meadow bei ihrer Lüge blieb. Jedes Schuldgefühl, das ihre Mutter wegen des Bilderdiebstahls in Meadow hervorrufen würde, wäre nichts im Vergleich zu den Vorwürfen, die Meadow sich ein Leben lang machen würde, weil sie die einmalige Chance nicht genutzt hatte.
Ganz zu schweigen davon, dass Großmutter in diese Welt zurückkommen würde, um Meadow in ihren Träumen heimzusuchen.
River war ein begabter Künstler und ein großartiger Vater, aber er war ein Versager, wenn es darum ging, für einen vollen Kühlschrank zu sorgen, mit Kunstagenten zu verhandeln oder Rechnungen zu bezahlen. Und deshalb hatte Meadow Judith gebeten, bei den Eltern zu bleiben und den alltäglichen Kram zu erledigen, für den sonst immer ihre Mutter verantwortlich war. Jetzt gab Meadow sich alle Mühe, sich erleichtert zu fühlen, merkte aber stattdessen, dass Furcht an ihr nagte.
»Ja, keine Sorge! Konzentriere dich nur auf deinen Job. Und ruf deine Eltern ja nicht an — ich habe ihnen erklärt, dass du in dem Ort bei Atlanta nicht übers Handy zu erreichen bist.«
»Oh, aber ...« Sie telefonierte fast jeden Tag mit ihrer Mutter, denn sie musste einfach diese vertraute, warmherzige Stimme hören, um die Gewissheit zu haben, dass es ihre Mom noch gab.
»Du bist eine schlechte Lügnerin«, hielt Judith ihr schonungslos vor, »und wenn du deine Mutter anrufst, dann wird sie gleich spüren, dass du irgendwas ausheckst. Und du willst doch nicht, dass sie sich Sorgen macht.«
»Du hast ja recht.«
Aber das lenkte Meadows Gedanken wieder auf Devlin Fitzwilliam.
Wenn sie wirklich so eine schlechte Lügnerin war, warum hielt er sie dann hier in Waldemar House fest?
Judith legte den Hörer auf und schaute sich in dem armseligen Zimmer um, das sie im Bide-a-Wee -Motel in Amelia Shores gemietet hatte.
Jahre hatte sie auf diesen Augenblick hingearbeitet — sie sollte jetzt keinen Rückzieher machen, nur weil die großen Schaben kleine Schaben als Haustiere hielten. Außerdem war sie schon einmal hier gewesen und,
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