Die Herzogin der Bloomsbury Street
Buchhalter bei André Deutsch, gebracht. Mr. Tammer ist ein ernster Mann mit Brille, der einem ein unerwartet freundliches Lächeln schenkt, wenn man ihm einen guten Tag wünscht. Einen guten Tag braucht er auch, denn er ist mein persönlicher Kontoführer. Er hat meinen ganzen »Vorschuss« in barer Münze im Safe und zahlt ihn mir in wöchentlichen Raten aus. Er gab mir das Geld für die Rechnung in bar und zehn Pfund dazu, das ist mein Taschengeld für die Woche; wenn das knapp wird, schieße ich etwas von den hundert Dollar dazu, die mein Bruder mir gegeben hat. Ich hatte zehn Dollar davon mitgebracht, weil Mr. Tammer sie mir in Pfund umtauschen sollte, und er holte seine Tabellen und seine Rechenmaschine hervor und rechnete konzentriert und gewissenhaft den aktuellen Wechselkurs aus, damit er mich um Gottes willen bloß nicht um fünfzehn Cent betrügt.
Im Verlag war ein Brief für mich angekommen, der mich neugierig macht, er ist von einem Mann, von dessen Existenz ich überhaupt nichts wusste. Niemand bei Marks & Co., mit dem ich korrespondiert habe, hat ihn je erwähnt.
Liebe Miss Hanff,
ich bin der Sohn des verstorbenen Ben Marks von Marks & Co. und möchte Ihnen sagen, wie sehr ich mich freue, dass Sie hier sind, und wie gern meine Frau und ich mit Ihnen zu Abend essen würden.
Ich weiß nicht, wo Sie wohnen, könnten Sie mich also unter einer der obigen Telefonnummern anrufen? Die zweite ist ein Antwortdienst, und Nachrichten, die dort hinterlassen werden, erreichen mich auf jeden Fall.
Wir freuen uns beide darauf, Sie kennen zu lernen.
Mit freundlichen Grüßen
Leo Marks
Die Sekretärin, die mir den Brief gab, sagte, er habe angerufen und gefragt, wo er mich erreichen könne.
»Aber wir geben niemandem darüber Auskunft, wo Sie wohnen«, sagte sie. »Wir sagen den Leuten immer, sie möchten sich über den Verlag mit Ihnen in Verbindung setzen.«
Damit war ich überhaupt nicht einverstanden, und ich ging zu Carmen ins Büro, um das zu klären.
»Carmen, meine Liebe«, sagte ich, »ich gehöre nicht zu den Schriftstellern, die von ihrer Öffentlichkeit verschont werden möchten. Ein Fan, der anruft, möchte mich vielleicht zum Essen einladen, und ich stehe als Essensgast jederzeit zur Verfügung. Bitte geben Sie meine Adresse freizügig weiter.«
Sie sagte, es stünden mindestens zwei Interviews an und sie würde sie in die Mittagszeit legen. Ein Interviewer fragte mich, ob ich vorhätte, »Silber oder Kaschmir zu kaufen – oder einfach nur Bücher«. Ich sagte, ich hätte vor,
gar nichts
zu kaufen, denn an allen Dingen in den Schaufenstern hinge ein Preisschild, auf dem stehe: »Ein Tag weniger London.«
Auf zum Parlament.
Mitternacht
ICH WAR IM OLD VIC, Erinnerungen an meine bühnenselige Jugend, das Theater zu betreten war erregend. Nora und Sheila und ich haben uns
Frau Warrens Gewerbe
von Sir Bernard Shaw angesehen. Die Atmosphäre in dem Theater ähnelt der in der alten Met in New York und der Academy of Music in Philadelphia; die Zuschauer betreten mit festlicher Ehrfurcht den Saal, so wie Kirchgänger zu Weihnachten die Kirche.
Sheila hatte Schwierigkeiten, einen Parkplatz zu finden, sie kam drei Minuten nach Vorstellungsbeginn ins Theater und wurde in einen Saal im Keller geführt, wo sie den ersten Akt über die Fernsehanlage sehen musste – man wandert nicht auf dem Mittelgang zu seinem Platz, nachdem der Gottesdienst angefangen hat.
Ich werde nie begreifen, warum
Frau Warrens Gewerbe
in Kostümen der Jahrhundertwende gespielt wurde. Haben Politiker und Geschäftsleute heute keine Bordelle mehr? Wird von armen Mädchen heute nicht mehr erwartet, dass sie tugendhaft verhungern, statt sich untugendhaft etwas zu essen zu beschaffen? Halten sich die moralischen Stützen der Gesellschaft etwa keine Geliebte mehr in einem Häuschen auf dem Lande? Wer kommt darauf, ein solches Stück als Kostümklamotte zu inszenieren, als ob es in eine andere Zeit gehörte? Bernie Shaw würde sich im Grabe umdrehen.
Ich fragte Nora nach Leo Marks, sie sagte, sie habe ihn und seine Frau nur ein paar Mal gesehen, aber »sie sind, glaube ich, ein nettes junges Paar«. Er sei Schriftsteller.
Ich sitze hier und nehme Vitamin-C-Tabletten, weil ich glaube, dass ich mich erkältet habe. Habe einmal versucht, etwas von der Heilerin Mary Baker Eddy zu lesen, hätte dranbleiben sollen.
Samstag, 26 . Juni
Endlich ist es warm und sonnig geworden, Gott sei Dank, und ich konnte für P B. einen Rock
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