Die Herzogin der Bloomsbury Street
sich seit Königin Elizabeth I. nicht verändert zu haben scheinen. Zum Lunch gingen wir in einen Pub neben einer Dorfkirche, in der, so der Colonel, »Hampden die Revolution ausgerufen hat«. Ich traute mich nicht zu sagen, dass ich nicht wusste, wer Hampden war.
Stratford liegt hinter Oxford, und morgen fahren wir die gleiche Strecke zurück. Wir kamen an Straßenschildern vorbei, die nach Oxford verwiesen, und ich erzählte ihm von Great Tew. Vor Jahren schickte mir jemand eine Postkarte – ein Foto von fünf strohgedeckten, geduckten Häusern, die über einen Hügel verstreut lagen – und schrieb hinten drauf:
Das ist Great Tew. Man findet es nicht auf der Landkarte, man muss sich auf dem Weg nach Oxford verfahren.
Das Foto zeigte ein derartig idealisiertes Bild von einem englischen Dorf, dass ich nicht glauben konnte, es gäbe den Ort tatsächlich. Stundenlang habe ich diese Postkarte betrachtet. Habe sie Ewigkeiten aufgehoben und in mein Buch
Oxford English Verse
gesteckt.
»Na gut!«, sagte der Colonel der sich herausgefordert fühlte. »Wir müssen Great Tew eben finden und nachsehen, ob es noch so ist wie damals.«
Wir schlängelten uns kreuz und quer durch die Cotswolds und kamen schließlich an Schildern vorbei, die nach Tew und Little Tew zeigten, dann fuhren wir um eine Kurve, und da war Great Tew, und es sah genauso aus wie auf meiner Postkarte: fünf uralte Steinhäuser mit Strohdächern, die immer noch über den Hügel verstreut lagen. Der Colonel sagte, sie seien in der Zeit Henrys VIII . erbaut worden. Fünfhundert Jahre danach sind sie immer noch bewohnt: An den Fenstern hingen weiße Vorhänge, auf den Fensterbänken standen Blumenkästen, und in allen Vorgärten blühten die Rosen.
Der Colonel parkte das Auto – das einzige Auto weit und breit –, und wir stiegen aus. Weiter unten an der Straße stand noch ein anderes Haus, das zum Dorf gehörte, ein Gemischtwarenladen mit einer Poststelle. Wir gingen hinein. Drinnen war niemand außer der Frau, die den Laden betreibt, und draußen hatten wir keine Menschenseele gesehen.
Der Colonel kaufte ein Eis, und ich bekam auf meinen Wunsch nach einem Glas Milch eine Literflasche mit einem Strohhalm. Der Colonel erzählte der Inhaberin, ich sei »den ganzen Weg von New York« hergekommen und habe »speziell Great Tew sehen wollen«. Während sie sich unterhielten, umklammerte ich die Flasche und setzte meine ganze Energie daran, wenigstens einen Viertelliter zu trinken, damit die Frau nicht beleidigt wäre. Als ich das geschafft hatte, sah ich mich nach einem geeigneten Platz um, an dem ich die Flasche unauffällig abstellen könnte, und bemerkte, dass sich der Laden plötzlich gefüllt hatte: Männer mit Schirmmützen und Frauen in bedruckten Kleidern. Ich trat ihnen aus dem Weg, und sie gingen zur Theke und kauften Zeitungen und Zigaretten. Auch ein paar Kinder kamen rein und wurden von der Inhaberin sofort weggescheucht.
Der Colonel aß sein Eis auf, nahm mir die Flasche aus der Hand und trank den Dreiviertelliter aus, als wäre es ein Glas Wasser, und dann gingen wir.
»Nun!«, sagte er auf dem Weg zum Auto. »Wir haben ihnen Gesprächsstoff für den nächsten Monat geliefert! Ist Ihnen aufgefallen, dass das gesamte Dorf zusammengelaufen ist, um sich die Menschen aus dem All anzugucken? Kaum hatten sie mein Auto mit der Londoner Nummer gesehen, kamen sie herbeigeeilt. Und haben Sie gesehen, wie die Frau die Kinder rausgescheucht hat? Damit wollte sie Platz für all die Erwachsenen schaffen. Die sehen hier das ganze Jahr über keine Fremden. Und auch noch aus New York? Nie im Leben!«
Und wir waren nur wenige Autostunden von London entfernt!
Jeder, der schon einmal in Stratford war, hatte mich gewarnt, dass es eine kommerzielle Touristenfalle sei, ich war also vorbereitet. Das Erste, was wir bei der Einfahrt in die Stadt sahen, war eine riesige Plakatwand mit der Aufschrift: JUDITH SHAKESPEARE WIMPY HAMBURGER BAR , und der Colonel lief vor Wut violett an. Es macht aber gar nichts. Man sucht das Shakespeare-Haus, bezahlt den Eintritt und geht hinein – und allein dass man die Treppe hinaufsteigt und sich dabei an dem enormen Geländer festhält, allein dass man das Schlafzimmer betritt und die Wand berührt, dann nach unten geht und in der Küche steht, in der er sich als Heranwachsender tagtäglich aufgehalten hat, allein das hat zur Folge, dass jeder, dessen Muttersprache Englisch ist, weiche Knie bekommt.
In dem glänzenden
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