Die Hexe aus Burgund: Historischer Roman (German Edition)
behandelte sie zwar höflich, startete auch keine Trennungsversuche mehr, doch mehr brachte er nicht auf. Woher auch? Seine Kraft floss ausschließlich in sein Studium und in die Ratstätigkeit, genau, wie Chrodegilde ihm das eingab. Selbst seine Freizeit verbrachte er überwiegend mit Lernen. Nur noch selten unternahm er jetzt mit Gudrun, Siglind und Hilibrand, die sich miteinander angefreundet hatten, einen Ausflug oder einen Konzertbesuch, und auch nur, wenn sie ihn dazu überreden konnten.
J a, er war fest in dem Hekatenetz gefangen.
D ennoch bekam dieses Netz jetzt leichte Schwachstellen, denn Chrodegilde begann, sich tatsächlich in Waldur zu verlieben. Was Hekate ganz und gar nicht behagte, denn Liebe schwächte ihre Macht.
M ehr und mehr in die Außenpolitik einbezogen, nahmen Wiltrud und Waldur inzwischen an jedem Gespräch mit auswärtigen Besuchern teil. Und es erschienen in den letzten Monden weit mehr Regenten als sonst im Alemannenpalast, auch Chlodwig öfter als bisher. Denn in Italien herrschten zunehmende Unruhen, über die stets neu beraten werden musste, damit alle keltischen Regenten den gleichen Kurs beibehielten, der diesen Unruhen ein Ende setzen sollte.
In Italien war inzwischen eingetreten, was die Alemannenfürstin seinerzeit vorausgesehen hatte, die Römer versuchten, den für sie unbequemen König Odoaker zu stürzen. Eigenhändig konnten sie das nicht bewerkstelligen, sie benötigten dazu einen gefügigen Kelten, und den hatten sie in Theoderich gefunden, einem arianischen Ostgoten und kaltblütigen Heerführer. Im Auftrag Kaiser Zenons belagerten Theoderichs Soldaten seit nunmehr zwei Jahren Ravenna, um Odoaker, ihren eigenen König, zum Rücktritt zu zwingen. Doch weder Theoderich noch die Römer hatten mit der keltischen Solidarität gerechnet, die Odoaker dergestalt unterstützte, dass er uneingeschränkt weiterregieren konnte.
Plötzlich jedoch, kurz nach Hohe Maien, kam Ritter Ossian mit der Botschaft in den Alemannenpalast geeilt, Theoderich habe über König Odoakers Residenz eine Besuchs- und Postsperre verhängt. Alle Ratsleute waren bestürzt.
Der Fürst aber überlegte nicht lange: „Auf, nach Ravenna“, forderte er Waldur auf, „du und ich. Wir fahren noch heute los, mit unserem flottesten Turnierwagen.“
Waldur erinnerte ihn an seinen bevorstehenden Schulabschluss, doch die Fürstin sagte ihm: „Dann legt Wiltrud die Prüfung eben alleine ab, Waldur, und du ein paar Wochen später. Die Reise hat Vorrang. Es muss verhindert werden, dass Theoderich gewalttätig wird, und das kann nur dein Vater vollbringen. Unterstütze ihn dabei.“
„Das werde ich“, versprach Waldur.
K eine zwei Stunden später standen der Fürst und Waldur, fest um die Hüften angegurtet und die Zügel vierer Rennpferde in den Händen, auf einem Zweiradwagen und sausten gen Süden.
An jeder Poststation die Rösser gewechselt, befanden sie sich bereits am vierten Tag vor den Alpen, die sie sodann in drei weiteren Tagen im Sattel überquerten. Danach brauchten sie nur noch zweieinhalb Tage bis Ravenna.
Schneller hätte diese Strecke kaum ein Eilkurier bemeistert.
I n ihrem Gasthaus ließ sich der Fürst dann Zeit, sich äußerlich wie innerlich auf die Begegnung mit Theoderich vorzubereiten. Und das rentierte sich. Als sie am Nachmittag das Gasthaus verließen, um zunächst zum Palast zu reiten, staunte Waldur - an seinem ganz in Königspurpur gekleideten Vater war nicht mehr die Spur von urwüchsigem Eisbär, er war vom Scheitel bis zur Sohle Majestät.
Das schöne Mosaikschloss war drohend von eisengepanzerten Soldaten umstellt.
„Ja jetzt keine Angst zeigen“, mahnte der Fürst seinen Sohn, „und vergiss nicht, wir sprechen hier ausschließlich alemannisch.“
„Verlass dich auf mich.“
Während sie auf den Palast zuritten, erkannten sie bald unter den Soldaten den Wachtoffizier. Wie ein Fels hatte er sich mächtig, breitbeinig und bewegungslos vor dem Eingangsportal aufgebaut. Als sie schließlich vor ihm standen, sprach der Fürst ihn vom Pferd herab in einem Ton an, der jedem Widerspruch höchsten Mannesmut abverlangt hätte: „Guten Tag, Herr Offizier, meldet uns Eurem Befehlshaber!“
Der Fels geriet ins Wanken, grüßte zurück und erkundigte sich dann in bemüht verständlichem Skirisch-Gotisch: „Mit wem habe ich die Ehre?“
„Mit dem Svebenkönig und seinem Sohn.“
Darauf musste der Steinerne erst schlucken, bevor er erklären konnte: „Bedaure, Majestät“, seine Stimme
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