Die Hexe muss brennen. Historischer Roman. (German Edition)
seinen Reisen mitgebracht hatte. Es kam aus einer kleinen Stadt in Holland, wo sich mehrere Brillenmacher niedergelassen hatten. Sie bauten Instrumente, mit denen man weit Entferntes nah heran brachte, so dass man auch aus der Ferne Details erkennen konnte. Das war das Fernrohr. Ebenso bauten sie ein Ding, mit dem man unendlich Kleines so groß machte, dass man es betrachten konnte. So eines besaß Lukas in seinem Laboratorium und Luzia hatte es gegruselt, als er ihr einen Tropfen aus einer Pfütze auf diese Art gezeigt hatte.
Luzia merkte, dass sie sich mit unnützen Gedanken nur ablenken wollte. In Wirklichkeit wäre sie am liebsten gar nicht dabei gewesen. Im letzten April, als die Hexe verbrannt worden war, hatte sie das kaum berührt. Da hatte sie ja noch geglaubt, dass eine Verbrecherin gegen Gott und die Menschheit ihrer gerechten Strafe zugeführt wurde. In den vergangenen Monaten hatte sie mehr über Recht und Gesetz und auch über Gott nachgedacht als ihr ganzes Leben vorher. Wie sie die Ereignisse bewerten sollte, denen sie jetzt beiwohnte, wusste sie nicht. Einerseits empfand sie es als gerecht, andererseits missbilligte sie die Grausamkeit. Am liebsten wäre sie davongerannt, dabei wollte sie es aber auch miterleben.
Hierher nach Amorbach hatte der Erzbischof den Gefangenen bringen lassen, weil er den aufgebrachten Mob nicht vor seiner Haustür haben wollte. Noß hatte hier Verbrechen begangen, hier sollte man ihn richten. Dabei stimmte das nur teilweise. Die meisten Verbrechen hatte er in Fulda begangen, doch mit den dortigen reformierten Rittern verstand sich der Erzbischof nicht, weshalb er den Gefangenen nicht herausgeben wollte. Er traute ihnen einfach nicht. Politik!
Magdalene hielt sich an dem Fernrohr fest, als ob es ihr Halt geben könne. Dunkle Wolken zogen über den Ort und ließen das Licht der Sonne nicht das Schauspiel bescheinen. Einzelne Sonnenstrahlen blendeten mehr, als dass sie erhellten. Luzia erkannte nur Schemen zwischen der wogenden, heiteren Menge. Über die Dächer hinweg blickte sie auf den Marktplatz und auf die Bühne, die dort für den heutigen Anlass gezimmert worden war. Sie konnte zwar nicht erkennen, was dort passierte, aber allein der Gedanke daran ließ Luzia einen eisigen Schauer den Rücken herunter laufen. Sie wollte es auch gar nicht sehen. Verstohlen tastete sie nach Lukas‘ Hand und ganz offen nahm er sie und hielt sie fest.
»Es hat viel Aufsehen erregt«, sagte Doktor Patrizius, der neben Magdalene auf der anderen Seite von Lukas stand. Viel Aufsehen, das war wohl wahr. Es war mehr als Aufsehen, es war ein Aufstand, als über Monate hinweg die näheren Umstände allgemein bekannt wurden. In den Tagen danach kam es zu Tumulten und Krawallen, die von Mainz ausgehend Kreise der Vernichtung zogen. Auch die Scheiben des Rathauses in Amorbach wurden eingeschlagen, so hoch Steine fliegen konnten. Ein Aufstöhnen ging durch das gesamte Bistum. Ein Inquisitor diente dem Teufel! Die Glaubwürdigkeit der gesamten Rechtsprechung wurde angezweifelt. Da half es auch nicht, dass es sich um einen Fuldaer Richter handelte, überall verweigerten Menschen den Respekt. Wie Brandherde loderten überall Proteste auf. Man diskutierte öffentlich über den Sinn und Zweck von Folter bei Verhören, überdachte alte Prozesse und meuchelte hier und da bekannte Denunzianten. Monate hatte es gedauert, bis wieder Ruhe eingekehrt war. Der Erzbischof verteidigte die Institution und versicherte allen, es werde personelle Konsequenzen geben. Von nun an dürfe kein Gefangener mehr allein verhört werden und auch dem Angeklagten eines Ausnahmeverbrechens solle ein Anwalt zur Seite gestellt sein. Außerdem werde die Angelegenheit gründlich untersucht und alle Verantwortlichen strengstens zur Rechenschaft gezogen.
Es fehlte nicht viel und man hätte in Amorbach das Rathaus angezündet. Das war vor zwei Wochen. Und jetzt stand Noß dort auf der Bühne und der Henker neben ihm. Doktor Patrizius beschattete die Augen und stellte sich näher an das Geländer, worauf Luzia an seiner langen Gestalt vorbei noch weniger sah. »Endlich kamen Nachrichten aus Fulda«, sagte er. »Es war kein Zufall, dass Noß sich hier aufhielt. Der Fürstabt von Dernbach aus Fulda, dessen Protegé er war, starb. Ohne dessen behütende Hand brach der Zorn der von Hessen unterstützten Ritter über ihn herein. Es gab schon früher Verwicklungen, die Ritter mussten ungerechterweise Wiedergutmachung zahlen, sie waren
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