Die Hexe soll brennen
körperlich und seelisch dermaßen heruntergekommen, daß sie die Jungen kaum erkannten. Allein Gertrud Grueber schien ihre Tochter mit einem Ruf begrüßen zu wollen, doch es wurde nicht mehr daraus als ein wehes, pfeifendes Winseln. Erst in der Badestube, wo man ihnen die stinkenden Lumpen vom Leib riß, sie in einer Ecke nackt zusammentrieb und sie mit Kübeln voller Donauwasser – es roch nach Algen und Fisch – übergoß, kamen die vier aus der Unterwelt Geholten wirklich zu sich. In einer schwappenden, ekligen Brühe stehend, doch nun wieder einigermaßen sauber, begannen sie sich zitternd und fröstelnd zu erkennen.
Die Büttel verhinderten es nicht, daß Gertrud ihre Tochter in entsetzlich abgemagerten Armen zu bergen versuchte. Als sich aber auch der Alte seinem Kind nähern wollte, brüllten sie unflätige Zoten und ließen es nicht zu. Johann Grueber blieb, wie Christine, für sich, während Mutter und Tochter so lange ineinander hängen durften, bis das Badweib die frischen Kleider herangebracht hatte: Sackartiges aus Rupfen mit Öffnungen für Hals und Arme. Der rauhe, ungefärbte Stoff, den man Katharina über den zitternden Leib zwängte, trennte sie wieder von ihrer Mutter; an der entzündeten Wunde auf Katharinas Schulterblatt brannte das lieblose Kleid wie Feuer.
Jetzt tauchte der Kerkermeister selbst auf, von zwei Pikenieren aus den oberen Regionen der Fronfeste begleitet, und übernahm es, die vier Gefangenen dort hinzubringen, wo das Gericht sie dem ersten Verhör unterziehen wollte.
Die beiden Mädchen und die Alten gingen jetzt aufrechter; sie liefen nicht mehr wie Tiere, die man gewaltsam zum unnatürlichen Gang gezwungen hat. Aber als sie, ein weiteres Stockwerk höher, in die Fragkammer traten, da traf ihr gebrochener, ausgemergelter Anblick den Pfatterer Pfleger dennoch wie ein jäher Faustschlag. Kaspar Michel hatte Katharina in seiner eigenen Hexenkaue gesehen; daß es aber mit einem Menschen so weit kommen könnte wie mit ihr und den drei anderen, hatte er dennoch in seinen qualvollsten Träumen nicht erwartet.
»Bleibt stehen da!« wies der Kerkermeister die Gefangenen an, nachdem er sie zu einer Stelle etwa drei Meter vor der Richterbank getrieben hatte. Links und rechts der Gruppe postierten sich die Pikeniere. Der Kerkermeister selbst zog sich in den Hintergrund des gestreckten Raumes zurück, wo ein schwarzer Vorhang von Wand zu Wand sämtliches Licht schluckte, wie ein höllischer Schwamm einzusaugen schien. Im Vordergrund der fensterlosen Fragkammer dominierten jedoch die Fackeln, Dutzende jetzt im Gegensatz zu der einen im Kerker vorhin, und die vier Angeklagten versuchten ihre entwöhnten Augen mit den Händen zu schützen. Im Widerschein des brennenden Pechs schienen ihre Rupfensäcke aus sich selbst heraus zu glühen – so standen sie da, selbst vier Fackeln aus unwirklichem Dunkellicht gleichend. Und vor ihnen, hinter rotverschlagener Balustrade, die Inquisitoren, sechs an der Zahl, die die stummen Hexen jetzt ebenso stumm musterten. Wo aber die Grueberschen und Christine ihre Augen mit Händen zu schützen suchten, glühten im Fackelschein die Gesichter der Richter nackt. Sie dominierten, sie beherrschten die Szene. Ein jedes dieser Gesichter für sich eine Anklage, aus allen zusammen geschmiedet ein Block. Nur eine Schwachstelle darin: Kaspar Michel. Er war jetzt so bleich, daß sein Antlitz, das Kinn zur Brust geneigt, eine Lücke in den Block der Ankläger zu brechen schien.
Die anderen Gesichter jedoch selbstsicher: Scherer und Edlmar wie damals auf dem Schloß zu Pfatter, als sie die Hexen gefangen, sich betrunken und geprahlt hatten. Notthafft mit einem Ausdruck unter mächtigen Brauen, als ziele er mit der Saufeder {*} auf einen kapitalen Eber. Konrad von Monhaim fast spanisch-gallig, asketisch, doch die dünnen Muskelstränge unter der Kapuze wie aus Stahl.
Im Zentrum dieser Front: Straßmayr, der Jesuit. Nicht nur Oberster Inquisitor, sondern in Wahrheit und wahrhaftig das Haupt im Konzert der Gesichter über blutroter Balustrade: breit, fleischig die Stirn, quer gefurcht wie eine Barriere, senkrecht über vorspringender Nase geteilt wie ein Gitter. Massig die Backen. Bißwütig der Mund. Die Augen wie Mare von unergründlichen Tiefen zentral in dieser inquisitorischen Landschaft, und heute verbarg der Jesuit das Zucken seines linken Lids nicht.
»Schau mich an! Ja, du, Katharina Grueber von Geisling! Nimm die Hände herunter!«
Katharina gehorchte,
Weitere Kostenlose Bücher