Die Hexe soll brennen
erzählte der Junge auch dem Fremden, der ihn Tage später, halb verhungert, in den Trümmern des Straßmayrhofes entdeckte. Der Wanderer glaubte ihm. Keiner der beiden konnte schließlich wissen , daß sich der Trupp der Marodeure zwar auch aus einem Schweden, sonst aber aus Kroaten, einem Mainzer und zwei Österreichern zusammengesetzt hatte – alle zusammen aber ehemalige Soldaten oder Bauern, die der Krieg zu Tieren gemacht hatte. Das war aber jetzt gleichgültig. Was mit den Eltern des Buben geschehen war, bezeichnete man in katholischen Landstrichen als Schwedentrunk, in den protestantischen als kroatischen. Tatsache blieb, daß Georg alles verloren hatte, was die Welt seiner Kindheit ausgemacht hatte. Bleiben würde statt dessen das, was er fiebernd und zwischen den Ohnmachten taumelnd hatte mitansehen, mitanhören müssen. Er wußte jetzt ein für allemal, daß die Welt voller Teufel war. Der Fremde wanderte nach Süden und nahm den völlig verstörten Buben mit nach Regensburg. Ein Kapuziner aus dem Kloster am Ostentor suchte – auf lange Sicht denkend – Nachwuchs für das vom Krieg verwaiste Refektorium. Der Fremde ließ sich leicht überreden, den Jungen bei ihm zu lassen.
Während der ersten Jahre im Kloster erfuhren die Mönche nicht einmal den Namen ihres Schützlings, doch im Frühjahr darauf begann sich der Schock zu lösen; der jetzt etwa Zehnjährige begann, den Menschen wieder zu vertrauen. Er blieb im Kloster, zeigte sich anstellig, begann etwas Latein aufzuschnappen. Nie aber sprach er von dem, was er damals auf dem Acker gesehen und gehört hatte. Die Kapuziner drangen nicht in ihn, förderten ihn aber.
Georg wurde Novize – einer der frömmsten. Sein Schicksal als Mönch in brauner Kutte, mit dem Strick um die Lenden, schien vorausbestimmt. Daß er trotzdem nicht ins Kloster am Ostentor eintrat, verdankte er seinem Lerneifer. Er wurde gelobt deswegen – in Wirklichkeit war es aber Manie. Wenn er sich mit den Büchern betäubte, verschwanden die Bilder, die auch den Fünfzehnjährigen noch zu quälen pflegten. Das Zucken seines linken Augenlids besserte sich, je besessener er lernte. Schnell galt er als der Klügste unter den Novizen, und dadurch wurden die Jesuiten auf ihn aufmerksam, jener erst junge Eliteorden, der sich mit Haut und Haaren der Gegenreformation verschrieben hatte, der die schärfsten Geister der Zeit unter der Fahne des Ignatius von Loyola sammelte.
Georg Straßmayr ging nach Ingolstadt auf das dortige neugegründete Kolleg des Ordens. Jetzt gehörte er zum Mittelmaß, doch das störte ihn nicht mehr. Er hatte sein Trauma so weit überwunden, daß sein Augenlid nur noch gelegentlich zuckte – wenn er allein war, die Erinnerung ihn plötzlich überkam.
Wäre das Trauma nicht zu überwinden gewesen, dann hätte Georg Straßmayr als einer der ganz großen Vertreter seines Ordens in Rom oder an einem der europäischen Fürstenhöfe Karriere gemacht. So aber geriet er nach Straubing und wurde im dortigen Kollegium ein angesehenes Mitglied – nicht mehr und nicht weniger. Sein Ruf festigte sich während der nächsten Jahrzehnte, die er eher geruhsam verbrachte. Er stritt für die Fahne des Ignatius von Loyola, aber er hatte auch zu leben gelernt. Zu Zeiten packte es ihn; dann konnte er sich als Schlemmer zeigen, als Fresser und Säufer. Der Orden, in Kleinigkeiten nicht kleinlich, duldete es. Er hätte es auch geduldet, wenn Georg Straßmayr sich gelegentlich eine Hübschlerin, selbst ein Beichtkind, ins Bett genommen hätte. Doch dies geschah nie. Selbst bei den unbestimmtesten Gedanken daran hatte das Augenlid des Jesuiten stets schmerzhaft zu zucken begonnen. Also hatte der Mitstreiter des Ignatius von Loyola gelernt, auch diese unbestimmtesten Gedanken zu unterdrücken. Er lebte keusch, absolut keusch. Die anderen im Orden, weniger glaubensstark, bewunderten ihn deswegen. Sein untadeliger Ruf in dieser Beziehung war auch beim Adel bekannt.
Dies war unter anderem der Grund, warum der Graf von Wernberg Georg Straßmayr zum Inquisitor des bevorstehenden Hexenprozesses gemacht hatte. Straßmayr hatte wenig Erfahrung in diesen Dingen. Aber die Berufung kam seinem Charakter durchaus entgegen. Es erfüllte ihn mit Stolz, gegen die Teufel in der Welt kämpfen zu dürfen. Doch er benötigte einen Bruder, mit dem er die theologischen Fragen disputieren konnte, in jenem Kreis der Richter, der sich ansonsten aus Adligen zusammensetzte. Georg Straßmayr fand diesen Bruder
Weitere Kostenlose Bücher