Die Hexe soll brennen
dann, wenn er sich unbeobachtet fühlte, wenn seine Gedanken abtrieben; wenn er sich – jäh und schmerzhaft – wieder als Kind fühlte.
Es war im letzten oder vorletzten Jahr des Großen Kriegs gewesen, der kleine Georg damals ein Bub von acht oder neun Jahren. Allein auf jener kleinen Hofstelle in der Oberpfalz, die nackten Füße spielerisch wühlend im Schlamm des abgelassenen Gänseweihers, die Eltern weit draußen auf dem steinigen Buckelfeld, ackernd, mit einer Geiß vor dem Pflug und dazu dem hinkenden Vater, die Mutter an den Sterzgabeln. Die Pflugschar riß holprig hoch und zur Seite den karstigen Boden, sich plusternde Saatkrähen dahinter und hochgedrängtes Geröll. Georg, obwohl alt genug, um sich zusammen mit den Eltern und der Geiß zu schinden, war auf der Hofstelle zurückgelassen worden, mußte heute nicht an die knochenbrechende Arbeit, weil er, nachdem ihm ein Zahn ausgefault war, fieberte. Jetzt kühlte aber der Schlamm im aufgelassenen Gänseweiher. Die Zehen, die Wadenmuskeln des Buben spielten schmatzend, wohllüstig. Über der Abendseite des Horizonts bauschten sich rötliche Wolken, da und dort golden durchschliert.
Und aus denen heraus, als sie drüben gerade den Pflug aus der Furche rissen, wenden wollten, die Reiter.
Heraus aus der Hügelfalte Preschen zum steinigen Acker hin. Klirren von Metall. Lederknarzen. Schaumiges Schnauben der Gäule. Hinterdrein noch einer auf einer Schindmähre. Der schnalzende Knall, der die Geiß warf. Der für den Buben undeutlich und überdeutlich vernehmbare Schrei der Mutter: »Der Schwed!«
Georg drückte sich gegen die steinige, die gänseweiche Erde, suchte sich zu verbergen, mußte dennoch näher heran an den Acker. Der Schwed', das war der Teufel. Trotzdem, gerade deswegen trieb es den Buben unwiderstehlich hin. Aus einem Ginster heraus konnte er schließlich alles erkennen, mußte er alles mitansehen, mitanhören.
Die Schlegel der schlecht getroffenen Geiß trommelten im Pfluggeschirr. Ein Kolbenhieb schleuderte den Vater daneben. Auch sein Leib hing fest im fasrigen Seilzeug, war wehrlos. Wehrlos auch die Mutter, als zwei der sieben Marodeure sie rücklings in die eben gezogene steinige Furche rissen, ein dritter ihre Beine zur Schere zwang. Das Aufbäumen der Mutter, ihr gurgelnder Schrei, jäh, sehr schrill. Der bocksartig stoßende Unterleib des Mannes, im Hintergrund, verzuckend, die Geiß im Pfluggeschirr. Verspannt der Hintern des Schweden, zwei wulstartige Muskeln, halb vom zähen Leder befreit.
Die Ohnmacht des Buben im Ginster. Sein Drang zu helfen. Seine maßlose Angst, die ihn lähmte, ihn mit noch fiebrigen Kiefern, Zähnen, sich die Knöchel blutig reißen ließ. Stehend dann der Marodeur. Blöde, verlegen, grinsend. Die Mutter jetzt still. Der aufbrüllende Vater von einem zweiten Kolbenschlag erneut gefällt. Die Geiß nun bewegungslos. Auf fahler Flanke schwarz gestocktes Blut. In der Schere der Mutter ein anderer Schwed'. Stinkendes Lederzeug von blassem Schenkelfleisch gerahmt.
Das Fieber bezwang den Buben wieder. Er lag im Ginster, spürte längst keinen Dorn mehr. Sah, hörte durch Schleier – gerade deswegen überdeutlich.
Als sie mit der Mutter fertig waren, als sie wegkriechen wollte, nicht konnte, widmeten sie sich dem Vater, banden den Stöhnenden über die seitlich gestürzte Pflugschar, die Sterze. Rücklings, den Leib verkrümmt, aufgereckt nach oben. Als knirschend ein Knochen brach, wurde der Bub ohnmächtig.
Er kam wieder zu sich im letzten Tageslicht. Über der Abendseite des Horizonts jetzt alles dunkelrot, schmalstreifig nur mehr der grauenhafte Schimmer. Vor dieser Kulisse tanzend, springend, johlend auf den zerknickten Leibern der Gefesselten die Schweden. Einer kniete und zwang dem Mann aus einem Schlauch etwas in den aufgezwängten Mund. Jauchegestank. Der Bauch wie eine Trommel. Sprühend gegen den Abendhimmel die unbeschreibliche Kaskade. Dann die Leibtrommel plötzlich schlaff.
Als der kleine Georg Straßmayr zum zweiten Mal aus seiner Ohnmacht erwachte, war es Morgen. Der Ginster stach nun peinvoll. Der Acker lag leer bis auf zwei verkrümmte, kaum kenntliche Gestalten. Die Marodeure waren verschwunden. Drüben glosten und schwelten die letzten Trümmer des Hofes. Der Schwed', dachte der Bub, als er sich aus dem Ginster wagte, zu den Toten kroch und sie beerdigte, indem er mit bloßen Händen Krumen und Steine über ihre unbeschreiblich zugerichteten Leiber kratzte.
Von den Schweden
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