Die Hexe und der Herzog
die einzelne Zeugenaussage wert war, denn einige Denunzianten benutzten, wie er sehr wohl wusste, solche Gelegenheiten, um unliebsame Nachbarn oder Verwandte auf einfache Weise loszuwerden.
»Ja?«, sagte er ungehalten, als Dietz seinen struppigen Kopf hereinsteckte.
»Die junge Säcklin«, sagte Dietz. »Sie will sich einfach nicht abweisen lassen, Pater.«
»Hab ich dir nicht gesagt …«
Ein rothaariges Weib hatte sich auf dreiste Weise Einlass verschafft. Sie musste einmal regelrecht fett gewesen oder gezwungen sein, die Kleider einer anderen aufzutragen, denn das blaue, fleckige Gewand schlotterte um ihren Körper. Am Arm trug sie einen großen Korb, über den ein Tuch gebreitet war.
»Sie haben es getötet, noch bevor ich es taufen lassen konnte«, rief sie. »Zuerst verhext und dann auf hinterhältigste Weise gemeuchelt. Brennen müssen sie, diese Hexen – lichterloh brennen!«
»Wer bist du, meine Tochter? Und vom wem redest du da?« Etwas an ihrem Verhalten machte Kramer wachsam.
»Gundis Säcklin, das Weib des Baders, sein zweites.« Beim Reden entblößte sie eine breite, hässliche Zahnlücke. Außerdem schien sie sich eine ganze Weile nicht mehr gewaschen zu haben. Die Hitze in der niedrigen Dachkammer verstärkte die muffige Ausdünstung. »Ich bringe Euch mein totes Kind.«
Sie zog das Tuch zurück.
Kramer erstarrte, als er in den Korb blickte: das wächserne Antlitz eines Säuglings, den ein riesiger eiförmiger Schädel entstellte. Das Kind schien ein weißes Taufkleid zu tragen. Der zarte Hals war von blauen Malen entstellt.
»Wie ist es gestorben?«, fragte er.
»Diese Hexen waren es! Ich hab sie rufen hören, Tag und Nacht, im Wachen und im Schlafen, bis ich nicht mehr konnte, versteht Ihr, Pater? ›Du sollst keinen guten Tag mehr haben in deinem Leben‹ – mit diesen grausamen Worten haben sie mich verflucht, die Totenwäscherin und ihre Freundin, die Hebamme, und genauso ist es auch gekommen. Erst haben sie mir die Frucht im Leib verdorben, dann mich zwei Tage und eine endlose Nacht in unbeschreiblichen Schmerzen pressen lassen, als müsst ich einen Felsbrocken auf die Welt bringen und kein atmendes Wesen aus Fleisch und Blut, und dann …« Sie begann haltlos zu schluchzen.
»Beruhige dich, meine Tochter!« Kramer vermied geflissentlich, die kleine Missgeburt noch einmal anzusehen. Sie war befleckt mit dem Makel der Erbsünde, vor dem ihm graute. Wenn sie doch nur endlich wieder das schützende Tuch darüberbreiten würde! »Ich brauche die Namen dieser Frauen, die dir das angetan haben. Alle!«
»Rosin Hochwart. Barbara Pfüglin«, schniefte sie. »Aber es gibt noch andere, die ebenfalls dazugehören. Lena Schätzlin. Und die schwarze Els, ihre Tante, der das Gasthaus gehört. Wilbeth Selachin, die Wahrsagerin. Hella Scheuber. Sowie eine alte Walsche namens Bibiana. Sie alle sind Luzifers Töchter!«
Wohlige Genugtuung durchströmte ihn. Ein Kindsmord, begangen durch gemeinschaftliche Hexerei – damit würde er sie schnell auf den Scheiterhaufen bringen können.
»Sag mir jetzt, wie sie ihr abscheuliches Verbrechen an deinem Kind begangen haben!«
Mit rot geränderten Augen starrte Gundis ihn an. »Sie sind in mich gefahren, diese Unholdinnen«, flüsterte sie. »Haben nachts von innen her Besitz von mir ergriffen, mich ausgehöhlt und meine Seele aufgefressen, bis ich nur noch den einzigen, entsetzlichen Gedanken hatte, den sie mir eingebrannt haben. Töte es. Töte es. Töte es !«
Kramer begann zu begreifen. »Soll das etwa heißen, dass du …«
»Ja!«, jaulte sie auf. »Mit diesen meinen eigenen Händen – ich musste sie doch meinem Kleinen um den Hals legen und so lange zudrücken, bis es nicht mehr geatmet hat. Sie wollten es. Sie haben mich dazu gezwungen. Diese verdammten Hexen haben es auf dem Gewissen.«
Kramer erhob sich.
Die Frau vor ihm schien dem Wahnsinn sehr nah, und doch klang in seinen Ohren durchaus glaubhaft, was sie soeben unter Weinen und Spucken herausgeschrien hatte. Die Indizienkette schien sich zu schließen. Immer wieder dieselben Namen – wie Lichter in der Nacht führten sie ihn letztendlich auf die richtige Spur.
»Dein totes Kind soll ein christliches Begräbnis erhalten«, sagte er. »Und anschließend werden wir diesen verfluchten Hexenweibern für alle Ewigkeit den Garaus machen!«
Johannes Merwais schloss geblendet die Augen, als er den Kräuterturm wieder verließ. Der schier unerträgliche Gegensatz zwischen dem gleißend
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