Die Hexe und der Herzog
die Spiessin nicht«, sagte er frei heraus.
»Nein. Du vielleicht?«
Sein Schulterzucken war ihr Antwort genug.
»Ich könnte es versuchen«, sagte er nach einigem Nachdenken. »Ein Siegel des Herzogs würde möglicherweise den Weg ebnen, auch wenn dies natürlich alles andere als korrekt ist. Doch die Freiheit schenken kann ich deiner Freundin nicht. Diese Illusion muss ich dir leider nehmen.«
»Aber sprechen kannst du mit ihr und sie fragen, was wirklich geschehen ist. Hella hat so gut über dich geredet, Johannes.« Zarte Röte färbte Lenas Wangen. »Ohne sie hätte ich vielleicht niemals gemerkt, wie sehr ich dich …« Ihr drängender Blick ließ ihn nicht mehr los.
»Deinetwegen, Lena«, sagte er. »Nur deinetwegen! Ich werde versuchen, sie zum Reden zu bringen, vorausgesetzt, man lässt mich zu ihr.«
»Dann bring ihr das hier mit.« Sie wies auf den Korb zu ihren Füßen. »Bestimmt lässt man sie im Loch darben, aber sie braucht doch anständiges Essen, gerade jetzt! Ich hab ihr Hühnerschenkel gebraten und einen Mandelkuchen gebacken. Und falls Geld nötig sein sollte, um die Wachen zu bestechen – hier!« Sie drückte ihm ein paar kleine Silbermünzen in die Hand. »Das ist alles, was ich gespart habe, Johannes. Mehr habe ich leider nicht.«
Rührung machte seine Gesichtszüge weich.
»Wenn ich dich nicht schon lieben würde«, sagte er und zog sie an sich, »dann spätestens jetzt.«
Ein langer, inniger Kuss, in dem beide versanken.
Langsam löste Lena sich von ihm. »Du wirst mir alles berichten?«, fragte sie leise.
»Das werde ich«, versprach er.
Doch kaum war Lena fort, kamen seine Bedenken aufs Neue und überfielen ihn wie ein Schwarm hungriger Heuschrecken. Wenn er sich unbefugt Zugang zum Loch verschaffte, mit welchen Konsequenzen musste er dann rechnen? Leopold von Spiess hatte dem Herzog so nah gestanden, dass dieser ihn sogar an seiner Stelle auf Brautschau nach Sachsen entsandt hatte. Wenn er sich jetzt an die Seite der vermeintlichen Mörderin stellte, bedeutete das nicht unweigerlich das Ende seiner Laufbahn bei Hof?
Solche und ähnliche Gedanken marterten ihn, bis der Jurist zu ersticken glaubte. Er riss die Tür auf, sprang wie ein Junge die Treppen hinunter, bis er endlich im Burghof angelangt war. Weiche, warme Sommerluft füllte seine Lunge, vom Küchentrakt her wehte der köstliche Duft nach gebratenem Fleisch, und er hörte den leisen Widerhall eines Lachens.
Langsam beruhigte er sich wieder. Sein Verstand nahm erneut die Arbeit auf, aber auch sein Herz begann zu ihm zu sprechen. Was hatte er schon zu verlieren? Womöglich das Wichtigste auf der ganzen Welt, wenn er jetzt nicht genügend Entschlossenheit und Mut aufbrachte.
Er liebte Lena mehr als sein Leben. Er glaubte ihr. Daher würde er auch alles daran setzen, um ihrer Freundin zu helfen.
Der Brief mit dem herzoglichen Siegel glitt dem Bischof aus der Hand und fiel zu Boden. Rasso Kugler bückte sich, um ihn aufzuheben, weil der Genesende dazu noch nicht in der Lage war.
»Er ist offenbar wieder so weit.« Aus dem abgezehrten Gesicht trat die kräftige Sattelnase, die die bäuerliche Herkunft verriet, deutlicher denn je hervor. »Genauso, wie ich insgeheim befürchtet hatte. Kramers Reise nach Ravensburg hat Tirol lediglich einen Aufschub beschert und nicht die erhoffte Rettung.« Wieder nahm er die Zeilen der Herzogin zur Hand, obwohl er sie mittlerweile so oft studiert hatte, dass er nahezu jedes Wort auswendig wusste. »Da, er predige Argwohn und Hass, und hier, jeder, der seiner Aufforderung zur Denunziation nicht folgt, mache sich schuldig und damit selbst verdächtig. So schüchtert er die Menschen in Innsbruck ein. Nicht einmal vor dem Hof macht er halt. Wenigstens zieht Sigmunds Gemahlin mich ins Vertrauen. Ich bin sehr froh, dass sie trotz ihrer Jugend so umsichtig gehandelt hat.«
»Von Seiner Hoheit ist ebenfalls ein Schreiben eingetroffen«, sagte der Notarius. »Gerade eben wurde es für Euch an der Pforte abgeliefert, Exzellenz.«
»Zeig her!«
Der Bischof erbrach das Siegel und begann zu lesen. Er schien noch müder und bleicher, nachdem er die Lektüre beendet hatte.
»Herzog Sigmund dagegen scheint Kramer bereits ganz und gar auf seine Seite gezogen zu haben. Seine Hoheit beruft sich auf die päpstliche Bulle, die ihn zur Unterstützung des Inquisitors auffordere, und bekräftigt, dass die Verfolgung der Unholdinnen auch für ihn oberste Priorität besitze. Wie geschraubt er sich
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