Die Hexe und der Herzog
gar nicht zu ihrer knochigen Gestalt passen wollten, zerrten am Tablett, das Lena noch immer umklammert hielt, jetzt aber so unvermutet losließ, dass es in gefährliche Schieflage geriet. »Pass doch auf, du tollpatschige Torin!«
Die Spiessin verschwand hinter der inneren Tür, die vor Lenas Augen mit einem Knall zuschlug.
Wie im Traum stieg Lena die Stufen zur Küche hinunter, gab etwas in die Töpfe, rührte um und schmeckte sogar ab, ohne so richtig zu wissen, was sie da eigentlich tat. Besonders Niklas ging ihr nicht mehr aus dem Sinn, und sie schämte sich gleichzeitig dafür, weil sie auf einmal das Gefühl hatte, damit Johannes zu verraten, dem sie doch ihr Herz geschenkt hatte.
Aber durfte man nur einen lieben?
All die schönen, die aufregenden Momente mit dem Spielmann fielen ihr wieder ein, seine vielsagenden Blicke, die Lieder, die er für sie gedichtet, seine anziehendes männliches Gesicht, das sie bis in die süßesten Träume begleitet hatte. Wäre da nicht diese verfluchte Rotnacht gewesen, sie beide könnten vielleicht noch heute …
»Ein Unglück!«, schrie Babette, die plötzlich mit hochroten Wangen in die Küche gerannt kam. »Van Halen – schnell! Wo steckt er nur wieder?«
»Doch nicht die Herzogin?« Noch während sie es sagte, machte Angst Lenas Kehle eng.
»Nein, aber ihr Hündchen. Die kleine Fee.«
Die junge Hofdame machte eine Geste, als würde man ihr die Kehle durchschneiden, und war schon wieder verschwunden.
Alle begannen zu rätseln, was genau wohl passiert war, und fingen an, die wildesten Spekulationen anzustellen, was allerdings jäh unterbrochen wurde, als Meister Chunrat höchstpersönlich ins Frauenzimmer zitiert wurde. Er blieb eine ganze Weile oben, so ungewöhnlich lange, dass die Stimmung in der Küche immer bedrückter wurde.
»Ob ihn die kleine Herzogin wohl zum Teufel jagen will«, mutmaßte Vily und legte den Kopf dabei ganz schief. »Erst ihn – und danach uns alle zusammen. Das tun sie manchmal, diese hohen Herrschaften!«
Irgendwann kehrte Chunrat zurück, blass und einsilbig, und er warf Lena einen so finsteren Blick zu, dass sie erstarrte.
»Du bist jetzt dran!«, sagte er. »Und merk dir eines: Die Wahrheit ist immer noch das Beste!«
Sie durfte nicht allein gehen. Zwei Jäger des Herzogs holten sie vor der Küche ab und brachten sie ins Frauenzimmer. Lenas Herz sank Stufe für Stufe ein Stück tiefer. Was auch immer hier vor sich gehen mochte, versprach pures Unheil, das spürte sie mit jeder Faser.
Eisiges Schweigen, nachdem sie das Gemach betreten hatte. Nur van Halen, der seitlich am Fenster stand, nickte ihr verstohlen zu. Unwillkürlich sah Lena sich nach Fee um und zuckte zusammen, als sie ihren leblosen kleinen Körper auf dem Ruhebett entdeckte. Wo war Niklas geblieben? Ihn jetzt zu sehen, hätte sie vielleicht eine Spur ruhiger gemacht.
»Du hast die Speisen meiner Gemahlin zubereitet?«, fragte der Herzog.
»Das habe ich, Euer Hoheit.«
»Auch diese – Süßspeisen dort?« Mit seinem Zeigefinger, an dem ein großer Rubinring prangte, wies er mit so verächtlicher Miene auf die Schälchen, als ob sie Kot enthielten. Eines davon war blitzblank geleckt, ein anderes halb geleert. Zwei erschienen Lena unberührt, abgesehen von den kandierten Blüten und Blättern, die sie nirgends mehr entdecken konnte.
»Auch diese, Euer Hoheit. Allerdings habe ich mich gewundert, dass ich sie heute wesentlich süßer als …«
»Du wirst gefälligst nur auf die Fragen antworten, die man dir stellt«, fiel die Spiessin ihr ins Wort. »Verzeiht, Euer Hoheit« – eine kleine Verneigung zum Herzog -, »aber ich vermochte mich gerade nicht mehr zu beherrschen.«
Sigmund nickte knapp. »Wann und auf welche Weise hast du das Gift zugefügt?«, fuhr der Herzog fort.
»Welches Gift?«, fragte Lena. Sie musste sich verhört haben.
»Das Gift, das die Hündin meiner Gemahlin getötet hat. Denn Fee hat dieses Zeug gefressen, das eigentlich für uns bestimmt war. Sogar unseren Hofzwerg hättest du um ein Haar auf dem Gewissen, aber Thomele war zum Glück so klug, nur so zu tun, als würde er die Schüsseln leeren!«
Die Augen des Zwerges sprühten giftige Blitze.
Lena öffnete den Mund und schloss ihn wieder. In ihren Ohren war ein Rauschen, das mit jedem Atemzug stärker wurde. Unwillkürlich streckte sie die Hand nach einem Halt aus, doch da war nichts und niemand, an den sie sich hätte klammern können.
»Ich weiß von keinem Gift«, sagte sie,
Weitere Kostenlose Bücher