Die Hexe und der Herzog
hin und her, bis er sich löste und polternd zu Boden fiel.
Die Frauen lauschten, ob die Wachen etwas gehört hatten, aber die saßen bestimmt wieder über ihren Metkrügen und würfelten.
»Hörst du mich?«, rief Hella leise. »Rosin, ich bin’s, Hella. Wir brauchen dringend deinen Rat!«
»Bist du das, Hella?«, kam es von nebenan. »Wieso kann ich dich auf einmal hören?«
»Wir haben ein Loch in der Wand entdeckt. Habt ihr Bibiana schreien hören?«
»Und ob wir das haben«, meldete sich nun Wilbeth von drüben. »Das Herz hat es mir schier zerrissen, das mitanhören zu müssen. Diese gottlosen Ungeheuer – einer hilflosen alten Frau dermaßen zuzusetzen!«
»Ihre Arme sind ausgerenkt. Sie scheint furchtbare Schmerzen zu haben und ist ohnmächtig geworden. Was können wir tun – ohne Kräuter oder Verbände …«
»Ihr müsst sie ihr wieder einrenken. Und Bibiana dann aus der Ohnmacht zurückholen. Es ist nicht gut, wenn sie zu lange bewusstlos bleibt.«
»Aber wie machen wir das?«, fragte Hella.
»Hol Lena! Der werd ich alles genau erklären. Sie hat die kräftigsten Arme von euch.«
Lena streckte sich, so gut sie konnte, aber sie war ein ganzes Stück kleiner als Hella und musste mehrmals nachfragen, bis sie Rosins Anleitung vollkommen verstanden hatte.
»Ich will es versuchen«, sagte sie schließlich. »Heilige Mutter Gottes und ihr Ewigen Bethen, steht mir bei!«
Gemeinsam hoben sie die Bewusstlose auf die schmale Pritsche. Dann fasste Lena Bibianas Rechte mit der einen und ihren gebeugten linken Ellenbogen mit der anderen Hand. Zuerst versuchte sie, den Arm unter leichtem Druck vom Körper wegzubewegen. Gleichzeitig hob sie den Arm leicht an und drehte ihn nach außen. Am Höhepunkt der Bewegung ertönte ein dumpfes Geräusch: Der Oberarmkopf war in die Pfanne zurückgeglitten.
Schweiß rann über Lenas Gesicht und vermischte sich mit ihren Tränen.
»Ich muss dir leider gleich noch einmal sehr wehtun, nonna« , flüsterte sie. »Aber ich schwöre dir, das wird das letzte Mal sein, solange ich lebe!«
Beim linken Arm verlief die Prozedur weniger glatt. Obwohl Lena alles genauso machte wie mit dem rechten, wollte und wollte der Oberarmkopf nicht zurück in die Pfanne. Erst beim sechsten Versuch gelang es.
Bibiana schlug die Augen auf und stöhnte. »Wo bin ich?«, flüsterte sie. »Tot sein kann ich noch nicht, sonst würde es nicht so schrecklich wehtun.«
»Du bist bei uns«, sagte Lena, und Els beugte sich über die alte Frau und küsste sie.
Sie gaben ihr die einzige Decke, die sie hatten, und boten ihr das letzte Stückchen Brot an. Doch Bibiana wollte nichts anrühren.
»Nur noch schlafen«, murmelte sie. »Schlafen – und alles vergessen!«
» Pere nost, che t’ies en ciel, al sie santifiché ti inom «, begann Els leise zu beten, und der leidende Ausdruck in Bibianas Gesicht begann sich zu entspannen.
»Was ist das?«, fragte Hella.
»Was redest du da?«, wollte auch Lena wissen.
»Das Vaterunser – auf Ladinisch, ihrer Muttersprache. Und jetzt lasst die nonna und mich in Ruhe zu Ende beten!«
Els humpelte mit der Eisenkugel am Bein erst wieder zu den beiden jungen Frauen zurück, als von der Pritsche gleichmäßige Atemzüge zu hören waren.
»Jetzt bist du an der Reihe, Lena«, sagte Els. »Und was ich dir zu sagen habe, hättest du längst schon wissen müssen.« Sie sah so elend dabei aus, dass Lena unwillkürlich die Hand ausstreckte, um sie zum Schweigen zu bringen. Doch Els ließ sich nicht abhalten.
»Selbst, wenn ich dabei verrecke, ich will und werde dir jetzt die Wahrheit sagen!« Sie schloss die Augen und begann zu reden.
»Johanna war die Erste aus unserer Familie, die gelegentlich am Hof gearbeitet hat. Sie brauchten sie in der Küche, wenn ein Fest veranstaltet wurde. Irgendwann hat sie auch mich dorthin mitgenommen, weil ich nicht aufhören wollte, darum zu betteln. Ein paarmal war das schon so gegangen, als eines Tages der Herzog auf mich aufmerksam wurde. Er machte ein paar Späße, zog mich auf – ich schien ihm irgendwie zu gefallen. Als er mich ein paar Wochen später fragte, wie alt ich sei, hab ich gelogen und gesagt: ›Vierzehn, bald fünfzehn!‹ In Wirklichkeit aber lag mein zwölfter Geburtstag noch nicht lange zurück.«
Sie schluckte, musste sich mehrmals räuspern. Dann fuhr sie mit ihrer Beichte fort.
»Eines Tages wurde aus dem Spiel bitterer Ernst. Es war mitten in der Nacht, ich schlief mit anderen Mägden neben der Küche, weil
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