Die Hexe und der Herzog
der seinen kleinen Enkel Paul in Obhut genommen hatte, seinerseits flankiert von Andres Scheuber, dem Münzschreiber. Allen voran aber stürmte Antonio de Caballis, der es kaum noch erwarten konnte, endlich den »Schwarzen Adler« zu erreichen.
Es wurde sehr still, als die fünf Männer plötzlich mitten in der voll besetzten Gaststube standen. Vier von ihnen kannte jeder hier – den Brauer, den Zimmerer, den Schreiber und natürlich erst recht den Vertrauten des Herzogs, bei dem viele Männer aus Innsbruck Lohn und Brot in der Münze zu Hall gefunden hatten. Aber auch der Jurist war seit seinem letzten Auftritt hier den meisten kein Unbekannter mehr.
»Morgen beginnt das Gericht zu tagen«, erhob Johannes Merwais seine Stimme, und er war glücklich, wie klar und voll sie im Gegensatz zum letzten Mal klang. »Dann wird das Urteil gefällt werden über eure Nachbarinnen und Wohltäterinnen, die man der Hexerei anklagt und gegen die viele von euch Zeugnis abgelegt haben. Ob es nun richtig oder falsch ist, was ihr über sie vor dem Inquisitor ausgesagt habt, wisst nur ihr allein – außer dem gnädigen Gott im Himmel, der tief in eure Seele zu sehen vermag. Ich aber spreche für Lena Schätzlin, für Bibiana Brocia und für Wilbeth Selachin, und ich sage euch: Sie alle sind unschuldig!«
Jockel, der Zimmermann, trat einen Schritt vor. »Ihr alle kennt mein Weib. Die meisten eurer Kinder hat sie ins Leben geholt, hat eure Frauen gepflegt, wenn sie gesegneten Leibes waren oder im Wochenbett lagen. Ich spreche für Barbara Pflüglin, die mir meine Tochter Maris geschenkt hat, und ich sage euch: Sie ist unschuldig!«
Einige der Zuhörer begannen unruhig hin und her zu rutschen. Andere hatten betreten die Augen gesenkt. Die Stimmung unterschied sich vollkommen von der an dem Abend, als Johannes seine erste Ansprache gewagt hatte: Jetzt lauerte kein lärmender, angetrunkener Pöbel mehr, in dem der Einzelne sich feige verstecken konnte, sondern es war den ersten beiden Rednern gelungen, jeden direkt anzusprechen.
Wem das allerdings schwer zu missfallen schien, war Purgl Geyer. Zuerst hatte sie sich noch vorsichtig im Hintergrund gehalten, wohl um abzuwarten, was als Nächstes geschehen würde, inzwischen aber schien ihr Mut groß genug, um einzugreifen.
»Der ›Schwarze Adler‹ ist kein Narrenhaus, sondern ein Gasthof«, schrie sie. »Hier wird Bier ausgeschenkt, und es werden Speisen serviert – aber keine gottlosen Reden geschwungen!«
Ohne sich um ihr Gekeife zu kümmern, schob sich nun Andres Scheuber nach vorn. »Die schöne Hella ist meine Frau«, sagte er. »Und jeder hier, der Hosen trägt, hat ihr gewiss im Leben schon einmal nachgeschaut. Sie ist das Licht in meinem Leben, die Sonne, die mein Dasein wärmt. Ein unschuldiges Kind wächst in ihrem Leib, das leben will und glücklich sein. Ich spreche für Hella Scheuber, und ich sage euch: Sie ist unschuldig!«
Das allgemeine Raunen nahm zu. Viele hatten längst aufgeregt zu tuscheln begonnen, nickten beifällig oder gaben halblaut Kommentare gegenüber ihren Nachbarn ab.
Dem Münzintendanten gelang es mit einer Handbewegung, sich Gehör zu verschaffen. »Ich liebe die schwarze Els«, sagte er, »und werde sie zu meinem Weib machen, sobald sie die Kerkerwände hinter sich gelassen hat. Ich spreche für Elisabeth Hufeysen vom ›Goldenen Engel‹ und ich sage euch: Sie ist unschuldig!«
Purgls Augen suchten Dietz, doch der Bruder hatte sich hinter einem Streben versteckt und versuchte offenbar, sich unsichtbar zu machen.
»Das alles werde ich Pater Institoris berichten«, schrie sie. »Wort für Wort eurer hinterlistigen, aufrührerischen Reden. Dann wird er euch auf der Stelle ergreifen und zu euren Hexenweibern sperren lassen …«
Glühend heiß wie eine Feuersäule schoss die Wut in Merwais hoch. Nicht einen sicheren Beweis hielt er dafür in der Hand, doch was zählte das schon in solch einem Moment?
»Meinst du vielleicht den Pater Institoris, der die alte Kapelle hat zunageln lassen? Der euch allen damit den Weg zu den Bethen versperrt …«
Er kam nicht weiter. Die Leute waren aufgesprungen, begannen loszuschreien und die Fäuste zu ballen. Möglicherweise wäre alles binnen Kurzem in unkontrollierbarem Tumult gemündet, wenn nicht de Caballis den Überblick behalten hätte. Geschmeidig wie ein Jüngling sprang er auf die nächste freie Bank und begann laut in seine Hände zu klatschen.
»Ihr sollt euch ja aufregen!«, rief er, als es wieder
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