Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
würde er nicht mehr leben. Wallenstein wäre mächtig genug, ihn aus dem Weg zu schaffen.«
Julius hob die Achseln.
»Edith hat von Conrad gesprochen. Ich bin mir sicher«, beharrte Marx.
Julius drehte sich auf dem Stuhl, bis er Marx ins Gesicht schauen konnte. Sein Augenlid zuckte. »Lass deine Finger von dem Jungen«, warnte er mit kaum hörbarer Stimme.
»Wie heißt dieser Pater?«
»Warum willst du das wissen?«
»Warum willst du’s mir nicht sagen?«
Ein Räuspern ertönte von der Tür. Tomas war zurückgekehrt. Er blieb im Türrahmen stehen, die Arme vor der Brust gekreuzt. Die Aufforderung, die in der Haltung lag, war nicht misszuverstehen. Marx erhob sich. Der Pater heißt Ignatius, wollte Sophie sagen. Aber wie konnte sie das? Marx schien es auch gar nicht zu erwarten. Er verschwand so still und rasch, wie er gekommen war.
Als Julius sich am nächsten Tag den Mantel überzog, finster und bedrückt, bat Sophie, dass sie ihn begleiten dürfe. »Ihr wollt doch zu Ignatius, nicht wahr?« Sie hatte sich Argumente zurechtgelegt, für den Fall, dass er ihr die Bitte abschlagen würde: Heinrichs Tod, Marsilius und auch ihr und Henriettes Schicksal waren inzwischen untrennbar miteinander verwoben. Und wenn Marsilius als Mörder überführt würde, könnte sie endlich ohne Angst leben. Aber er hatte gar keine Einwände. Also machten sie sich gemeinsam auf den Weg zum Jesuitenkirchlein.
Zum Gotteshaus gehörte ein Anbau, ein Kolleg, in dem die Söhne des umliegenden katholischen Adels erzogen wurden, wie Julius ihr erklärte, als sie durch die Kälte schritten. Dort wohnten auch die Patres.
»Und wenn Ignatius sich weigert, uns Auskunft zu geben?«, fragte Sophie. »Das würde er doch tun, wenn es um einen politischen Skandal geht, der seinem Orden schaden könnte.«
»Auch die Art seiner Ausflüchte würde uns Informationen geben.«
»Vielleicht«, seufzte sie.
Sie erreichten die Münze. Es war später Vormittag. Eine Frau trug mehrere lebende Gänse, die sie an den Beinen an eine Holzstange gebunden hatte, vor ihnen her. Die Vögel schnatterten, als ahnten sie ihr Ende. Ein älterer Mann prügelte mit einem halb fertigen Stiefel seinen Lehrling. Zwei Katzen jagten um eine Schubkarre voller Holzscheite.
»Traut ihm nicht«, sagte Julius.
»Was?«, fragte Sophie, die den Katzen hinterherschaute.
»Marx fliegen die Herzen zu. Aber er ist anders als Ihr oder ich. Er blüht in der Gefahr auf. Für ihn mag das richtig sein, nur erwartet er von anderen Menschen dasselbe. Er jagt sie in ihre Feuertaufe, und wenn sie verglühen, statt gestählt hervorzukommen … ihm fehlt das Gewissen. Er weiß nicht, wie man trauert.«
Sophie schwieg. Was sollte sie auch sagen? Sie bogen um die Mauern des Doms und erreichten das Kirchlein der Jesuiten und hinter einer weiteren Ecke den Anbau, von dem Julius gesprochen hatte. Scholaren eilten an der Mauer entlang, dick eingepackt, wegen der Kälte, und mit Büchern in den steifen Händen. Neben dem Haupttor des Jesuitenkollegs stand ein Pferdeknecht, der ein nervöses Reittier am Zaum hielt.
Julius geleitete Sophie an dem Tier vorbei die Treppe hinauf. »Ich will einfach nur sagen: Traut ihm nicht.« Er zog die Tür auf. Sie standen in einem langen Flur, dessen Wände wegen der grünen Butzenscheiben leuchteten, als ginge man durch einen Wald. Julius hielt einen Pater auf, der ein Schiffsmodell trug, und fragte ihn nach Ignatius. Der Mann erkundigte sich bei einem Ordensbruder, und sie erfuhren, dass Ignatius sich auf den Weg ins Heerlager vor der Stadt gemacht hatte, um dort das Sakrament der Beichte zu spenden. Also traten sie wieder hinaus ins Tageslicht. Verstohlen blickte Sophie sich um, halb in Erwartung, in irgendeinem Winkel Marx zu entdecken, aber er schien ihnen nicht gefolgt zu sein.
»Haltet Euch neben mir«, ordnete Julius an, als sie die Gassen verließen und durch eines der Stadttore in die Flussniederungen traten. Die Zelte standen schmutzig und vielfach geflickt im niedergetretenen Gras. Die Trampelpfade waren von Pferdeäpfeln und Ziegenkötteln übersät. Eine Frau nahm für die nächste Mahlzeit einen geschlachteten Hund aus. Als Sophie und Julius eine Mauer aus mehreren sehr hohen Zelten passiert hatten, ragte nicht weit von ihnen ein Galgenbaum in die Höhe. »Schaut nicht hin«, murmelte Julius, aber Sophie hatte die vier Männer, die dort mit gebundenen Händen hingen – einer mit einem Holzbein – bereits gesehen. »Der Krieg frisst seine
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