Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
den Garten. Leise zog sie dort die Schuhe über die Füße. Sie hatte keine Mühe, über die abgeplatteten Steine, die Tomas im Rasen hatte eingraben lassen, zum Papageienhaus zu gelangen.
Als sie sah, dass die Tür nur angelehnt war, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Sie hatte gewusst, dass Marx sie hier erwarten würde. Nein, sie hatte es nicht gewusst – es war nicht gut, sich etwas einzubilden. Aber sie hatte darauf spekuliert, und es war eingetroffen. Wo auch sonst hätten sie einander treffen können, ohne sich zu verabreden?
Er trat hinter einem Futterbehälter aus geflochtenem Schilf hervor und küsste sie. Dann tastete er nach ihrem Kopf, zog sie zu den Fenstern, fluchte leise, weil das Mondlicht zu spärlich war, um viel preiszugeben, und wollte wissen, wie es ihr ging.
»Woher weißt du, was mir geschehen ist?«, fragte sie und bemühte sich, es nicht misstrauisch klingen zu lassen.
»Ist doch Marktgespräch. Die Stadt erwägt, gemeinsam mit dem Orden eine Protestnote an die Heeresleitung zu senden. Der Mord ist im Lager der Söldner begangen worden, und diesen Dreckskerlen traut man alles zu.«
»Zu Recht?«, warf sie rasch ein.
»Sicher. Und die Jesuiten werden den Vorfall nutzen, um wieder einmal gegen die Sterngläubigen – sprich Wallenstein – zu Felde zu ziehen.«
Marx hatte nichts zu verbergen. Ich hätte es ihm angehört, dachte sie. Und so berichtete sie leise, was der Offizier, der den Mord untersuchte, herausgefunden hatte. Ignatius war ins Lager gekommen. Er hatte zunächst die Kranken im Lazarett aufgesucht und ihnen die Beichte abgenommen, was der Feldscher bestätigte. Dann war er hinaus ins Freie getreten und in Richtung des Sternenzeltes gegangen. Da am Ende des Weges nur die Wahrsagerin gewohnt hatte, war offensichtlich, wohin er wollte. Dann war plötzlich eine bettelnde Frau aufgetaucht und hatte ihn aufgehalten. Das Weib, das rasch gefunden wurde, erklärte, dass sie ihn um eine Münze angefleht habe. Der Pater hatte, statt ihr etwas zu geben, eine Predigt über Gottes Liebe zu dem Fleißigen begonnen, und sie hatte ihm, nicht mundfaul, entgegnet, dass der Herr die Barmherzigen preise.
Marx lachte leise.
Die beiden waren so in ihren Disput vertieft gewesen, dass die Frau nicht sagen konnte, ob sich jemand an ihnen vorbei zu Giulias Quartier geschlichen hatte, um die Sterndeuterin zu ermorden. Zeit dafür wäre wohl gewesen.
Der Offizier kam zu dem Schluss, dass der Mörder dem Pater gefolgt war, dass er erkannt hatte, wohin sein Opfer gehen wollte, da Giulias Zelt ja völlig isoliert am Ende eines Weges stand, und dass er entschieden hatte, dessen Streit zu nutzen, um ins Zelt zu huschen. Er hatte der Sterndeuterin die Kehle durchschnitten, sie durch die rückwärtige Zeltbahn ins Freie geschleift, sich ihren Sternenmantel umgeworfen und auf den Pater gewartet.
»Riskant«, murmelte Marx. »Die Bettlerin hätte ihn sehen können, die Sterndeuterin um Hilfe rufen, der Pater sich wehren und Krawall schlagen …«
»Und jemand hätte ihn stören können. Ich habe ihn gestört. Der Mörder muss einen wichtigen Grund gehabt haben, so viel zu riskieren.«
»Marsilius«, sagte Marx. »Er war bei der Verhandlung anwesend, als der Jesuit sich nach Heinrich erkundigte. Ihm war klar, welche Gefahr aufzog. Wahrscheinlich hat er an deiner oder Julius’ Reaktion gemerkt, dass ihr den Pater auf seine Bekanntschaft mit Heinrich ansprechen würdet«, mutmaßte Marx. Er stand vor ihr. Seine Wange war eiskalt und seine Lippen ebenfalls, als er sie küsste. »Conrad ist der Schlüssel, ich bin sicher. Ich muss zu ihm.«
»Aber ich denke, bei dem Jungen ging es um Eifersucht? Das passt doch nicht zusammen.«
Marx fuhr mit den Händen durch ihr Haar und lächelte verzerrt. Einer der Papageien, den sie geweckt hatten, krächzte unverständliche Laute. »Ich habe eine Idee, Sophie. Möglicherweise irre ich mich. Es ist reichlich abstrus. Wenn ich aber recht habe, hieße das, dass Heinrich mir so wenig vertraute wie Julius. Und dass wir beide, Julius und ich, blind und zum Weinen gutgläubig waren. Ich reite fort, mein Engel. Es tut mir leid, ich weiß, dass ich in deiner Nähe bleiben sollte. Aber Julius ist ein guter Mann. Er wird dir dein Mädchen zurückbringen. Wo finde ich dich, wenn ich mein Vorhaben erledigt habe?«
»Bei meinen Eltern.«
Marx schien sich abwenden zu wollen, dann stockte er noch einmal. »Julius ist wirklich ein guter Mann, Sophie. Er ist klug, er ist
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