Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
verschwindet. Prächtig hinbekommen! Wie soll die Übergabe des Kindes vonstattengehen?«
»Ich werde sie holen, was sonst?«, erklärte Sophie.
»Du willst auf die Wildenburg? Gott im Himmel!«
Gereizt schüttelte Julius den Kopf. »Natürlich wird sie nicht reiten. Ich selbst werde die Übergabe vornehmen.«
»Sei kein Idiot. Marsilius hasst dich mittlerweile ebenso inbrünstig wie Sophie.«
»Und? Ich werde in ausreichender Begleitung erscheinen. Was soll mir schon geschehen?«
»Und wie willst du verhindern, dass das Kind vorher an … sagen wir, an einer Krankheit stirbt? Wäre doch nicht ungewöhnlich. Jeder Husten pustet die Winzlinge weg.«
Julius warf Marx einen wütenden Blick zu und ergriff Sophies Hand. Er wusste nichts Tröstendes zu sagen. Was auch? Marx hatte ja recht. Marsilius lag nichts an seiner Tochter. Wenn er ihr, um es der Mutter heimzuzahlen, ein Kissen auf das Gesichtchen drückte, würde niemand davon erfahren. Oder Edith brachte sie um. Ohne Marsilius’ ausdrückliches Wissen, aber mit seiner heimlichen Billigung. Alle Erleichterung, die Sophie eben noch empfunden hatte, verschwand. Julius stand auf und brachte ihr eine Decke, während er Marx mit zornigen Blicken traktierte. Wieso war ihnen nicht von vornherein klar gewesen, dass es so enden würde? Warum hatten sie den Prozess überhaupt geführt?
Weil er zumindest eine winzige Möglichkeit geboten hat, Henriette zurückzubekommen, beantwortete Sophie sich die Frage selbst. Sie starrte in den Kamin, wo ein Feuer prasselte und Funken stoben und verglühten.
»Dann ist da noch etwas«, sagte Julius und schaute zu Marx. »Eine Irritation am Rande des Prozesses. Der Pater, der Marsilius davon abgehalten hat, Sophie zu ermorden – der Jesuit … Er kannte Heinrich. Und war über seinen Tod bestürzt.«
Sophie nickte unwillkürlich, sie hatte es ja selbst bemerkt. Marx starrte sie beide an. Die Gefühle, die sich auf seinem Gesicht abzeichneten, wechselten schneller, als man sie erfassen konnte. Überraschung, Misstrauen, Zorn … Von allem mochte etwas dabei sein.
Julius fuhr fort zu sprechen: »Und damit wären wir wieder am Anfang: Die Jesuiten … der Herzog von Jülich – und ein junger, argloser Bote, der einen Brief zwischen beiden Parteien befördern sollte und deshalb ermordet wurde. Das sind die Karten, die auf dem Tisch liegen. Und dass dieser Brief verschwand.«
Marx stand auf, ging zum Fenster und öffnete es. Ein eisiger Wind fuhr ins Zimmer und blies ihm Schnee ins Gesicht.
Julius sprach zu seinem Rücken. »Ich würde sagen, man muss sich das folgendermaßen vorstellen: Wallenstein wird vom Kaiser, der sich durch den Schwedenkönig bedroht sieht, wieder in seine alte Position als Heerführer gesetzt. Seine Macht ist größer denn je, und die Jesuiten bekommen es mit der Angst zu tun. Was passiert, wenn Wallenstein den Schwedenkönig, den Löwen aus Mitternacht, aus dem Lande gejagt hat? Wird er Rache nehmen für die Demütigungen, die der Orden ihm zugefügt hat? Mit Sicherheit. Wallenstein hasst die Jesuiten. Also muss man ihn aus dem Weg räumen, bevor er zu mächtig geworden ist. Ist Mord eine Option? Warum nicht? Doch nach einem Mord an Wallenstein bräuchte der Orden mächtige Verbündete, wie beispielsweise den Jülichherzog. Also wollten sie anfragen, ob er bereit wäre, ihnen beizustehen. Aber es sickert etwas durch. Wallenstein bekommt Wind von der Intrige und lässt den Boten überfallen.«
»Und nimmt den Brief nicht an sich?«, fragte Marx dumpf. »Ich habe das Papier gesehen. Edith hat damit vor meinen Augen gewedelt.«
»Marsilius war der gedungene Mörder. Vielleicht hat er den Brief inzwischen, wie befohlen, weitergegeben. Vielleicht benutzt er ihn aber auch, um selbst zu intrigieren oder jemanden zu erpressen.«
»Und Conrad? Warum hat Edith von Conrad gesprochen?« Marx drehte sich um. Er war blass. Schnee schmolz auf seinem Gesicht, die Tropfen rannen durch die Narben.
Julius verschränkte die Hände und starrte auf seinen Teller, auf dem die Krautsuppe kalt wurde. »Ich habe gesehen, was mit Menschen geschieht, die gefoltert werden. Und möchte behaupten: Du weißt nicht einmal selbst, was in jener Nacht wirklich gesprochen wurde.«
»Ich weiß …?«
»Heinrich hat seiner Mutter erzählt, der Brief wäre ihm von einem Jesuiten übergeben worden und für den Herzog bestimmt. Das ist das Einzige, was feststeht.«
»Wenn Marsilius von einem Mordkomplott Wallensteins wüsste,
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