Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
konnte. Gesche stand hinter ihm. Eine andere Frau lugte an seiner Hüfte vorbei.
»Was also ist geschehen?«
Marsilius senkte sein Gesicht in Ediths Haar, und weil er schwieg, begann Dirk zu sprechen. Da kam die Ungeheuerlichkeit zutage. Die beiden Männer waren zur Bannmühle geritten, weil sie gehört hatten, dass Marx von Mengersen mit der Ermordung des Müllers gedroht hatte, der ihn damals bei seinem Verbrechen beobachtet und die Burgbesatzung zu Hilfe gerufen hatte. Diese Gerüchte schwirrten schon eine ganze Weile durch die Herrschaft Wildenburg, aber plötzlich schien die Sache akuter geworden zu sein. Also hatten sie sich auf den Weg gemacht.
»Du bist zur Mühle geritten, um Schlimmes zu verhindern«, stellte Edith fest, während sie Marsilius’ Hand an ihre Wange drückte. Ihre Stimme summte und hatte eine beruhigende, beinahe hypnotisierende Wirkung.
»Sie hat gebrannt«, flüsterte Marsilius.
»Marx von Mengersen hat die Mühle angesteckt?«
»Alles brannte. Sogar die Scheune. Ein Apfelbaum hat gebrannt, ein Esel … es hat gestunken …«
»Und das hat Marx getan?«
Ich sollte ihn das fragen, dachte Sophie. Aber sie schaffte es nicht einmal, sich zu rühren. Sie sah ihren Ehemann den Kopf schütteln. »Die Kinder …«, murmelte er, den Blick nach innen gewandt, wo all die Scheußlichkeiten immer noch stattzufinden schienen, »sein Weib … Sie waren beim Essen. In ihre Suppe ist Blut gelaufen …«
»Marx ist über sie hergefallen?«
Marsilius hob den Kopf, sein Gesicht war wächsern. »Der Knecht ist in der Mehlkammer verbrannt. Aber der Junge ist entkommen. Er hatte einen Spieß vom Rücken durch den Hals in den Mund und lebte trotzdem weiter und hat sein Kaninchen festgehalten … Er lebte, er hat mich angesehen …«
»Marx wird seiner Strafe nicht entgehen.«
Mit gepresster Stimme erklärte Dirk: »Wir haben ihn und seine Spießgesellen davonjagen sehen. Wir konnten sie nur nicht packen, weil … Wir kamen zu spät.«
»Wie entsetzlich.« Edith legte ihren Kopf in Marsilius’ Schoß, und er begann mechanisch, mit der Hand durch ihre Locken zu fahren. »Dieses grausame Monstrum«, hörte Sophie die Hure flüstern. »Man muss diese Kreatur unschädlich machen. Ihr müsst es tun, mein Herr. Damit wir endlich unseres Lebens wieder sicher sind.«
Nach einer Zeitspanne, die Sophie unendlich schien, schob Marsilius Edith von sich. Er starrte sie an, dann erhob er sich. Es sah aus, als wollte er durch die Tür gehen, die in die Hauskapelle führte, vielleicht um dort für die Seelen der Ermordeten zu beten. Doch auf halbem Weg blieb er stehen und drehte sich um. »Ich wollte den Priester holen, Pater Ambrosius. Aber das Pfarrhaus ist leer«, sagte er. »Man muss den Mann suchen. Schafft ihn herbei, sobald ihr ihn gefunden habt.«
s war ein feierliches Begräbnis. Sicher zweihundert Menschen bevölkerten den kleinen Dorffriedhof von Herbede. Viele davon waren Bauern aus der Umgebung oder Menschen aus dem nahe gelegenen Witten. Außerdem war natürlich das Gesinde vom Rittergut gekommen und Heinrichs Freunde. Der Junge hat viele Freunde gehabt, dachte Julius Drach, der Hauslehrer des Verstorbenen, der die bedrückten Menschen beobachtete. Er sah, wie sie sich verstohlen Tränen aus den Gesichtern wischten. Vor allem die jungen Frauen. Heinrich war ein hübscher und liebenswürdiger Bursche gewesen.
»Seid Ihr sicher, dass wir hier sein müssen?«, fragte Elisabeth von Brembt zum Hardenstein, die Mutter des Verstorbenen. Sie zupfte Julius am Ärmel, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen.
»Ganz sicher.« Er legte die Hand auf ihre schmalen Finger, drückte sie sacht und lächelte sie an. Heinrichs Mutter war hübsch, trotz ihres fortgeschrittenen Alters von nahezu fünfzig Jahren – zierlich, mit rotblondem Haar und Sommersprossen auf einem Stupsnäschen. Sie war einer der Menschen, bei denen man sofort wusste, wie sie als Kind ausgesehen hatten. Er mochte sie gern. Leider litt sie an einer Verwirrung des Geistes, die von Jahr zu Jahr fortschritt.
Man hatte überlegt, sie von der Beerdigung fernzuhalten, doch Julius hatte sich für ihre Teilnahme starkgemacht, und er fand diese Entscheidung immer noch richtig. Elisabeth hatte Heinrich innig geliebt, und auch wenn sie nicht begriff, dass es ihr Sohn war, der in dem blumengeschmückten Sarg lag, gab ihr das doch Rechte.
»Ein lebhafter Knabe, dabei immer willig, freundlich und gewissenhaft«, tönte Pfarrer Claßgen, der am
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