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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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Gab stand und eine weitere Zusammenfassung über die Tugenden des jungen Verstorbenen gab. Er hörte sich gern reden, was an normalen Tagen nervtötend war, aber in diesem Moment niemanden zu stören schien. Die Menschen waren froh, den Augenblick herauszögern zu können, in dem Heinrich endgültig in die Erde versenkt würde.
    »Wegen der Erbsen«, erklärte Elisabeth. »Ich möchte sie nicht zu lange weichen lassen. Mir kommt es immer vor, als verursachten sie Blähungen, wenn sie zu lange weichen. Was meint Ihr?«
    »Pssst!« Reinhard von Plettenberch, Elisabeths Bruder, versuchte, die ältliche Frau zum Schweigen zu bringen oder sie wenigstens dazu zu bewegen, die Stimme zu senken. Aber das war vergebens, weil Elisabeth mit ihrem Verstand auch die Fähigkeit zu flüstern verloren hatte.
    »Ich brate sie gern mit Aprikosen, nur müssen die frisch vom Baum kommen«, mischte sich ihre heitere Stimme in die des Geistlichen. »Und die Milch muss lauwarm sein, so wie … wie das Regenwasser in einer Sommerpfütze. Habt Ihr schon einmal Eure Hand in eine Pfütze gehalten, Julius? Es ist ein ungeheures Gefühl. Als badete man sie in flüssigem Samt. Ihr müsst mich demnächst einmal begleiten. Unser Regenwasser sammelt sich unter der Rinne hinter dem Küchenhaus …«
    »… und mit einem immer offenen Ohr für seine Nächsten«, übertönte Claßgen ihre Überlegungen. »Der junge Verstorbene liebte seine Mitmenschen so gütig, wie unser Heiland es verlangte.«
    »Die Aprikosen müsst Ihr aber nach dem Waschen jede einzeln mit einem Tuch abtupfen.«
    »Wie recht Ihr habt.« Julius unterdrückte ein Lächeln. Heinrich hätte sich an den lautstarken Äußerungen seiner Mutter nicht gestört. Er war ein Mensch mit Sinn für Humor gewesen und hatte Elisabeth ebenso herzlich geliebt, wie er selbst von ihr geliebt worden war. Vielleicht schaute er gerade jetzt erheitert auf sie herab? Wen scherte, was der Rest der Trauergemeinde dachte!
    »Nicht jeder mag Heinrichs Kampf für die katholische Sache gebilligt haben, aber in dem Junker brannte ein Feuer wie so oft in diesem Alter, und wenn die Erfahrung fehlt und die Stimme des Teufels schmeichelnd in die Ohren zischelt, wird solch ein Feuer rasch in die falsche Richtung geleitet. Marx von Mengersen …« Claßgens Stimme wurde dunkler, als er den verabscheuten Namen aussprach, »dieser gottlose Verführer, dieser Satan in Menschengestalt und letztendlich: dieser skrupellose Mörder, hat die Stellung, die ihm die Familie gab, ausgenutzt, um unseren geliebten Junker zum Eintritt ins katholische Heer zu bewegen, das unser verblendeter Kaiser gegen das eigene Volk führt. So kam Heinrich in die Hölle von Magdeburg. Er wurde Zeuge, wie sich Gottes Zorn über die Menschen ergoss. Und er wurde Teil des Massakers, das der Kaiser an unseren protestantischen Glaubensbrüdern verübte. Doch keiner von uns wird vergessen, wie zornig er zurückkehrte. Er war außer sich gewesen vor Entsetzen!«
    Ja, das stimmte. Julius konnte sich noch gut an den Sommer des vergangenen Jahres erinnern, als Marx und Heinrich auf staubbedeckten Pferden, mit wenig mehr als den Kleidern am Leib, auf Herbede eingetroffen waren. Marx war schlecht gelaunt gewesen, aber das nahm man kaum zur Kenntnis angesichts der grässlichen Verfassung, in der Heinrich sich befand. Zunächst war nichts aus dem Jungen herauszubekommen gewesen, aber irgendwann sprudelte er die Grausamkeiten hervor, die er in Magdeburg miterlebt hatte.
    Man hatte natürlich bereits aus den Flugblättern, die von der protestantischen Seite emsig in ganz Deutschland verteilt wurden, über die Gräuel erfahren, die sich in der reichen Stadt an der Elbe zugetragen hatten. Sie wussten also, dass von den rund dreißigtausend Einwohnern zwei Drittel niedergemetzelt worden waren. Sie wussten auch, dass Tillys Söldner die Türen der Kirchen verbarrikadiert und Fackeln durch die Fenster geworfen hatten.
    Aber das war nichts gegen Heinrichs bildhafte Beschreibung der Frauen, die entblößt mit den Oberkörpern in Wasserfässern hingen, geschändet und von Schwertern zerstochen, oder der Kinder, die hinter den Leibern ihrer ermordeten Eltern Schutz suchten und hervorgerissen und auf Lanzen gespießt durch die Straßen getragen wurden. Die Elbe war rot von Blut gewesen. Die Toten stauten das Wasser, ihre Arme reckten sich aus den Fluten, als riefen sie um Hilfe.
    »Hätte der Kaiser Albrecht von Wallenstein das Kommando überlassen, dann wäre das alles

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