Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
»Ich hatte nur eine Frage an sie.« Mit diesen Worten schlug Sophie sich Josepha aus dem Sinn. War das Kind, das Edith geschlagen hatte, nicht viel wichtiger?
Sie beschrieb Gesche das Mädchen und erfuhr, dass es sich um die Tochter des Stallmeisters handelte, die im Gesindedorf lebte, aber seit ein, zwei Wochen für den Dienst auf der Burg erzogen wurde. »Die kann ich Euch leicht bringen«, meinte die riesenhafte Frau und schob das Kind tatsächlich wenig später in Sophies Kammer. Die Kleine sah eingeschüchtert aus und versteckte die Hände unter der Schürze. Gleichzeitig aber linste sie neugierig, wie es in den Räumen der Herrschaft aussah.
»Wie heißt du?«, fragte Sophie, um Freundlichkeit bemüht.
»Eva.«
»Eva – wie unsere Urmutter. Da hast du einen hübschen Namen bekommen.« Und über Verstand schien das Kind außerdem zu verfügen. Es schaffte sogar einen Knicks, obwohl ihm der sicher von niemandem beigebracht worden war. Evas Kleid war sauber und die Haare zu ordentlichen Zöpfen geflochten.
»Worin bestehen momentan deine Aufgaben?«
»Was du tust«, übersetzte Gesche, als Eva unsicher schwieg.
»Alles. Putzen und so und … Ich kann alles.«
Das war eine starke Behauptung für eine Person, die ihrer Herrin gerade eben bis zum Kinn reichte. Sophie lächelte erneut. »Ich brauche jemanden, der mir die Haare kämmt und meine Kleidung versorgt. Meinst du, dass du das lernen kannst?«
Eva nickte eifrig.
»Dann wirst du von jetzt an deinen Dienst bei mir versehen. Du schläfst auch hier in der Kammer. Sag dem Gesinde Bescheid, Gesche.«
Sophie war hochzufrieden. Mit diesem Entschluss hatte sie Edith ein deutliches Zeichen gegeben. Es war noch lange nicht raus, wer den Krieg um die Macht in der Burg gewinnen würde! Etwas wie Übermut überkam sie. Sie würde Marsilius mit bester Laune empfangen und ihn umgarnen, so wie Mutter geraten hatte. Und wenn die Sache günstig verlief, würde sie ihm erklären, dass sie für die Küche Ediths Garten benötigte.
»Warte, Gesche!«, hielt sie die Magd auf. »Geh in den Weinkeller und hol einen Krug vom besten Wein! Frag Theiß, er weiß Bescheid.« Von Tatendrang erfüllt, begann sie in ihrer Truhe nach ihrem hübschesten Kleid zu kramen. Hatte Marsilius beim Besuch ihrer Eltern nicht bewiesen, dass er auch manierlich und umgänglich sein konnte? Er war doch kein Ungeheuer – einfach ein hitziger junger Mann, dem manchmal sein böses Temperament in die Quere kam.
Das Bild des blutigen Gesichtes auf seinem Hemd stieg ihr vor Augen, aber sie wischte es hastig beiseite. Sie wollte so sehnsüchtig, dass alles gut wurde.
Die nächsten Stunden vergingen in hektischer Tätigkeit. Sophie lief wohl ein Dutzend Mal in die Küche, um zu überwachen, ob mit dem Essen alles glatt lief. Nicht dass es nötig gewesen wäre. Aber es gab ihr ein überwältigendes Gefühl von Kompetenz. Sie fühlte sich wie ein Feldherr vor der Schlacht. Als es allerdings spät und später wurde, ohne dass ihr Ehemann heimkehrte, schlug ihre Vorfreude in Sorge um. Das Fleisch wurde allmählich zäh. Würde Marsilius sich darüber ärgern? So reich, dass sie Essen verschwenden konnten, waren sie nicht, das hatte sie in den letzten Monaten begriffen. Marsilius musste für ihren Wohlstand hart kämpfen. Letztens hatte sie aufgeschnappt, dass er das Reichskammergericht bemühte, um Ansprüche durchzusetzen, die er gegen einen geizigen Verwandten hatte. Und mit ihrem Nachbarn, dem Grafen von Reifferscheidt, lag er ebenfalls im Streit.
Plötzlich ging ihr auf, dass sie sich seit ihrer Hochzeit kein einziges Mal gefragt hatte, wie ihrem Ehemann wohl zumute sein musste. Sie wusste von ihren Eltern, dass Marsilius’ Vater den spät geborenen Sohn und zwei weitere Brüder kalt abserviert hatte, zugunsten seines Erstgeborenen. Marsilius hatte sich – fast noch ein Kind – um sein Erbteil balgen müssen. Jetzt stand er mit zweiundzwanzig Jahren völlig allein da, denn der eine Bruder war tot und der andere offenbar verrückt geworden. Wie hatte ihr das nur so gleichgültig sein können? Vielleicht waren es gar nicht die starken Schenkel und die Locken, die ihn so an Edith bezauberten, sondern einfach die Tatsache, dass sie an seinem Leben Anteil nahm? Auch hier musste sie etwas ändern!
Es dauerte noch eine weitere halbe Stunde, ehe Hundegebell und der übliche Lärm die Heimkehr der Männer ankündigten. Sophie lief zum Fenster. Die Hunde tobten über das Pflaster. Einer
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