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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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finde ich höchst merkwürdig. Sie will mir etwas zeigen, und dann kommt …« Nein, nichts von Edith sagen. Diese beschämende Episode behielt sie lieber für sich. »Dann ist sie von einer auf die andere Stunde fort. Da stimmt doch etwas nicht!«
    Dirk blickte sie stumm an.
    »Also?«
    »Sie wollte Euch etwas zeigen?«
    »Das sage ich doch.«
    »Sie sollte Euch nicht belästigen.«
    »Gütige Jungfrau – darum geht es nicht! Ich finde es nur verdächtig …«
    »Wo bleibst du, Dirk?«, tönte Marsilius’ Stimme aus dem oberen Stockwerk. Sie schauten zur Tür – und hielten beide für einen winzigen Moment den Atem an. Angst, dachte Sophie, das ist es, was mein Ehemann verbreitet. Und nicht nur bei mir.
    »Ich werde dafür sorgen, dass Josepha zurückkommt«, erklärte der Burgvogt steif.
    »Morgen!« Sophie wiederholte es noch einmal mit Nachdruck: »Ich will, dass sie morgen wieder zum Dienst erscheint!«
    Sie hatte nicht erwartet, dass Dirk sich ihrem Befehl widersetzen würde. Zwei Tage ließ sie ihm Zeit, weil Marsilius ihn beanspruchte. Doch als am dritten Tag immer noch nichts von Josepha zu sehen war, flammte ihr Zorn wieder auf. Marsilius mochte sie behandeln, wie er wollte, das musste sie hinnehmen. Aber das Gesinde hatte ihr zu folgen! Es war zwar auch in der Vergangenheit vorgekommen, dass jemand so tat, als hätte er einen Auftrag vergessen oder als hätte man sie missverstanden. Aber einen konkreten Befehl zu verweigern – das war eine Meuterei, die bisher nur Edith gewagt hatte. Sophie war klar, was geschähe, wenn sie Dirk seine Nachlässigkeit durchgehen ließ: Sie würde den letzten Rest Respekt unter dem Gesinde verlieren und in Zukunft wie ein Schatten in der Burg leben. Man würde durch sie hindurchsehen und so tun, als wäre sie nicht vorhanden.
    Ihr Vater hatte ihr einmal, als sie danach fragte, erklärt, wie eine große, von Mauern umgebene Stadt wie Magdeburg in die Hände der Feinde fallen konnte. »General Tilly hat den entscheidenden Moment genutzt. Er hatte die Stadt mit den kaiserlichen Truppen monatelang belagert. Sie waren in ihren Laufgräben und auf den Beobachtungsposten beschossen worden, und Wallenstein, der Tilly sein Kommando überlassen musste, weil er beim Kaiser in Ungnade gefallen war, weigerte sich, Proviant aus Mecklenburg und Friedland zu schicken. Die Söldner hungerten also. Sie waren mutlos und entkräftet. Da erreichte sie die Nachricht, dass der Schwedenkönig bis auf vierzig Kilometer heran war, um Magdeburg beizustehen. Sicher haben die meisten an Flucht gedacht. Die Sache stand auf Messers Schneide. Sie zögerten. Und in dieser entscheidenden Situation hat Tilly Mut bewiesen. Er hat den Befehl zum Stürmen gegeben – und seine Truppen haben die Mauern überrannt. Das ist das ganze Geheimnis, Sophie: In einer verzweifelten Lage hilft oft nur ein verzweifelter, aber kühner Schritt.«
    Und genau so war es jetzt mit ihr. Sie hatte die Festung, als die sie ihr neues Zuhause ansah, monatelang belagert. Sie hatte kleine Siege und beschämende Niederlagen erlebt – und jetzt ging es ums Ganze. Sie musste allen Mut ihrer siebzehn Jahre zusammennehmen und handeln.
    »Ich werde mich nicht länger ducken!«, erklärte sie Gesche, die sich zu Näharbeiten in ihrem Zimmer eingefunden hatte. »Ich werde zu Marsilius gehen und ihm sagen, dass eine meiner Wäscherinnen verschwunden ist und Dirk sich weigert, nach ihr suchen zu lassen. Er muss doch einsehen, dass ich so ein Benehmen nicht dulden kann. Ich werde verlangen, dass sie zurückkommt.« Erwartungsvoll blickte sie ihre Magd an.
    Die massige Frau mit dem platten Gesicht war im Lauf der Wochen so etwas wie eine Vertraute für sie geworden. Sophie hatte einmal beobachtet, wie sie am Brandweiher, wo zwei Mägde ein Lamm für den Osterbraten ausnahmen, den Weibern über den Mund fuhr, weil sie etwas Abfälliges über die Burgherrin sagten. Gesche hatte sie angeschnauzt, dass sie ihr freches Mundwerk halten sollten, und daraufhin hatte Sophie sie sofort und mit Ungestüm ins Herz geschlossen. Sie brauchte so dringend jemanden, mit dem sie sich beraten konnte und der ihr zutrug, was auf der Burg geschah. Auch jetzt wartete sie auf einen Kommentar.
    Aber die Antwort kam wenig begeistert. »Wenn Ihr das für eine glückliche Idee haltet!«
    »Meinst du, er wird sich ärgern?«
    Gesche zuckte die Achseln. Sie hielt den Rock ihrer Herrin, den sie wegen der Schwangerschaft weiter nähte, gegen das Licht. Mit einem

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