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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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Mengersen gestohlen hat«, flüsterte Sophie. Hatte Marsilius das Loch erhalten wollen als Mahnmal, dass er den Mörder nicht vergessen durfte? Oder wollte er Marx dort begraben, wenn er ihn endlich erwischt hatte? Damit würde das Plätzchen so etwas wie ein Ort des Triumphes werden, den er jederzeit aufsuchen konnte. Andererseits würde er einem Verbrecher wohl kaum die Gnade erweisen, auf geweihtem Boden zu ruhen.
    »Man stell sich das mal vor«, brummelte Gesche. »Erst wird das arme Jüngelchen ermordet, dann aus dem Grab gestohlen, und dann auch noch aus dem zweiten rausgeholt, um in einem dritten begraben zu werden. So viel reisen andere Leute im ganzen Leben nicht.«
    Sophie umrundete das Loch vorsichtig und schritt mit ihrer Magd die Gräber ab. Sie selbst hätte Menschen, die sie liebte, in einem ruhigen Winkel an der Mauer begraben. Und richtig, dort fanden sie ein kleines, liebevoll mit Blumen bepflanztes Grab, auf dem ein Grabmal aus weißem Sandstein stand. Im Schein ihrer kleinen Lampe konnte sie die Inschrift lesen:
    Anno 1629 den 4. Mai
Wurden zu Gott berufen die Knäblein
Dietrich Wolpmann im Alter von 3 Jahren
Konrad Wolpmann im Alter von 2 Jahren
Adolf Wolpmann im Alter von 7 Monaten
    In den wenigen Worten fand sich die ganze Tragik erklärt, die Dirk Wolpmanns düsteres Wesen ausströmte. Seine Kinder waren also tot, und er hatte sie alle am selben Tag verloren. Dass Kinder starben, war nichts Ungewöhnliches, auch nicht, dass es so rasch geschah. Seuchen rafften ja oft in kurzer Zeit ganze Familien hin.
    »Was für ein trauriger Stein! Ein Sprüchlein hätt man den Kleinen schon gönnen können«, fand Gesche. »Bei meinem hab ich schreiben lassen: Denn solchen ist das Himmelreich . Nur mit ’nem Messer in ein Stück Holz, gab’s gerade nicht mehr, aber ich finde, ’n Segensspruch ham sie verdient.« Sie fuhr sich mit dem Ärmel über die Nase, doch ihr Pfannkuchengesicht blieb unerschütterlich ruhig. Wenn sie als Trosshure gereist war, dann hatte sie den Tod tausendfach erlebt.
    »Und warum wollte Josepha, dass ich mir dieses Grab anschaue?«, fragte Sophie.
    Ratlos zuckte Gesche mit den Schultern. »Warum wollte Edith, dass Ihr es Euch nicht anschaut – das ist die Frage, die uns beschäftigen sollte.« Sie starrten noch eine Zeitlang auf den hellen Stein. Dann verließen sie den beklemmenden Ort, ohne neue Erkenntnisse gewonnen zu haben.
    Auf dem Weg zurück in den Palas fiel Sophies Blick auf Dirks Haus, das dem Brandweiher gegenüberlag. Es war ein hübsches Gebäude, nicht allzu groß, was auf den Platzmangel zurückzuführen war, der auf dem Felsrücken herrschte, aber deutlich prächtiger als die Häuser im Vordorf. Die kleinen Fenster, die wie neugierige Augen zwischen den Fachwerkbalken lugten, waren durch Fensterläden gesichert.
    Plötzlich fiel ihr auf, dass auf dem Grabstein gar nichts über Dirks Ehefrau gestanden hatte. Wenn sie noch auf der Burg lebte, hätte Sophie sie sicherlich kennengelernt. War sie ebenfalls gestorben? Aber warum hatte man sie dann nicht bei ihren Kleinen beerdigt? Das war wahrhaftig ein Mysterium, denn es widersprach doch jedem menschlichen Empfinden, Mutter und Kinder an ihrem letzten Ruheplatz voneinander zu trennen.
    Was ging hier nur vor?

   ulius Drach schlenderte am Ufer der Ruhr entlang, die sich gemächlich durch die mit Wildblumen getupften Wiesen grub. Vögel versorgten im Ufergras ihren Nachwuchs, Enten schaukelten auf den Wellen. Überall erwachte das Leben, und zum ersten Mal war es warm genug, ohne Jacke ins Freie zu gehen. Julius hatte einen ausgiebigen Spaziergang hinter sich und freute sich auf die nächste Mahlzeit.
    Gut Herbede lag am Ende seines Weges. Efeu wucherte an den grauen Mauern, und unter einem der Fenster – jenem zu Elisabeths Schlafkammer – blühten die ersten gelben Rosen. Julius besaß ein eigenes Haus in Frechen, südlich von Köln. Auch dort konnte man es aushalten, aber irgendwie war dieses Haus mit seinen verglasten Erkern und dem leuchtend roten Dach, in dem er sich seit sechs Jahren um den Nachwuchs der Besitzer kümmerte, zu seinem Heim geworden.
    Er dachte daran, wie er vor einem knappen Jahr hier mit Heinrich entlanggegangen war und mit ihm über Magdeburg gesprochen und schmählich versagt hatte. Hatte er damals Heinrichs Vertrauen verloren? Hätte der Junge sich ihm vor seiner geheimnisvollen Reise anvertraut, wenn ihr Gespräch anders verlaufen wäre?
    Müßige Gedanken. Er sollte den

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