Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
rausgekriegt.«
»Was denn?«
»Johann, der sich in der Küche einen Kräutersud für sein schlimmes Bein aufgießen ließ, meint, dass Euch Josepha sicher ein paar Gräber zeigen wollte, wenn sie Euch zum Friedhof brachte.«
»Gräber?«
»Und zwar die von Dirks Familie. Was das genau heißen soll, weiß ich leider nicht, denn wie ich nachgebohrt hab, ist er total und komplett verstummt.«
Ratlos schaute Sophie die Magd an. »Ich wusste gar nicht, dass Dirk eine Familie hatte.«
»Das ist nun nicht weiter sonderbar. Wundern sollte uns, warum bei diesem Thema alle plötzlich schweigsam werden.«
»Und nun?«
»Müsst Ihr entscheiden, ob Ihr zagen oder angreifen wollt.«
Ihr größtes Problem bestand darin, aus der Burg zu gelangen. Da Marsilius noch unterwegs war, hatte man die Brücke zwar unten gelassen, die Tore waren wegen des fortschreitenden Abends aber bereits verschlossen. Als Sophie und Gesche den Hof betraten, erwartete sie eine der ersten lauen Frühlingsnächte. Der Mond beschien die Mauer des Palas und ließ das Moos auf den Dächern leuchten.
Gesche schritt furchtlos und ohne das geringste Unbehagen voran. Vielleicht wurde man so, wenn man einen Teil seines Lebens im Tross eines Heeres verbracht und Schlachten und Plünderungen miterlebt hatte. Ihr dicker Zopf baumelte auf ihrem Rücken. Als sie die Pferdetreppe erreichten, zog sie Sophie mit einem Zischlaut in den Schatten der Mauer.
»Was ist?«
»Psst.«
Sie warteten, und plötzlich erschien auf der Mauer zu Ediths Kräutergarten eine Katze. Das Tier hatte sie ebenfalls bemerkt. Es buckelte, seine Augen glühten, und sie hörten es leise fauchen. »Vielleicht ist’s nichts als nur eine Katze«, murmelte Gesche in einem Tonfall, der bekundete, dass sie etwas ganz anderes annahm.
Sophie wusste natürlich, was man über Katzen munkelte: Dass sie von Hexen zu Botendiensten abgerichtet wurden und dass die bösen Weiber in Spiegeln und Kristallen all das, was ihre vierbeinigen Spione beobachteten, verfolgen konnten, als wären sie selbst dabei. Doch dies hier war nur eine harmlose Hauskatze. Sophie kannte sie. Meist lag sie in der Küche. Ihr dicker gefleckter Bauch ließ darauf schließen, dass sie im Mai Junge werfen würde. Aber obwohl Sophie sie schon hundert Mal gesehen hatte, kroch ihr plötzlich eine Gänsehaut über den Rücken. Sie schrak zusammen, als die Katze mit einem eleganten Sprung auf der rückwärtigen Seite der Mauer verschwand.
»Satansvieh!«, zischte Gesche und schlug ein Kreuz. »Ihr müsst Euch in Acht nehmen, Herrin – es ist schlimmer, als ich dachte!«
»Glaubst du etwa …«
»Ich glaube gar nichts!«
»Dass Edith eine …«
»Psst, nennt den Namen nicht!«
Vor ihnen tauchte das Tor auf. Der Wächter schien sich ins Torhäuschen verzogen zu haben. Durch die beiden Schießscharten drangen Laute, die eindeutig von Liebeständelei kündeten. Wenn Marsilius das wüsste, dachte Sophie, dann würde er den Mann bis aufs Blut auspeitschen. Gesche nutzte die Gunst des Augenblicks und schob resolut den Torriegel zurück. Eisen kratzte über Eisen, das Geräusch schien überlaut, und Sophie starrte bang zum Häuschen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie ihr Treiben hier am späten Abend begründen sollte, wenn man sie ertappte. Aber die beiden in der Wächterzelle waren zu beschäftigt, um etwas mitzubekommen.
Dann standen sie im Vordorf. Hier war es noch heller, weil es keine Mauern gab, die Schatten warfen. Sie hasteten zum Friedhof – und hätten in ihren wehenden Kleidern wahrscheinlich selbst jeden Beobachter das Grausen gelehrt. Doch niemand sah sie, als sie das Törchen öffneten, das zu den Gräbern führte. Der Friedhof war klein, kaum fünfmal so groß wie Ediths Kräutergarten. Drei stattliche Linden sollten den Friedhofsbesuchern Schatten spenden und dem Ort etwas Weihevolles geben, was auch gelungen war. Viele Menschen konnten hier allerdings nicht mehr beerdigt werden. Schon jetzt hatte man die Gräber so eng gelegt, dass die Wege schmalen Laufspuren glichen.
»Wo mögen sie Dirks Familie gebettet haben? Sicher nicht am Eingang, sondern weiter hin…« Sophie blieb das Wort im Hals stecken. Sie wäre fast in eine Grube gestürzt, die sich verborgen zwischen den Gräbern auftat. Erschrocken hielt sie sich an Gesche fest, und beide starrten in das Loch. An den Seiten wucherte Unkraut. Ein offenes Grab.
»Hier muss der Junker beerdigt gewesen sein. Du weißt schon – der Mann, dessen Leiche Marx von
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