Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
war. Aber das war wohl auch der einzige Punkt, in dem die beiden Ähnlichkeit miteinander hatten.
Die Tür, die Theiß hinter sich geschlossen hatte, flog wieder auf. Dirk kam herein. Marsilius winkte ihn an den Tisch und schob ihm die Platte zu, so dass er sich ebenfalls bedienen konnte. Die Männer aßen schweigend. Dirk hatte eine frische Schramme am Hals, die vielleicht von einem Zweig stammte, der ihn beim Ritt durch den Wald gestreift hatte.
»Wir brauchen für Hecken einen neuen Pfarrer«, wiederholte Marsilius. Dirk nickte. Es war ein völlig normales Gespräch, wie es auch daheim geführt wurde. Und nicht Edith sitzt am Tisch, sondern ich , dachte Sophie und versuchte sich darüber zu freuen.
»Glaubst du, dass Marx den Pfaffen umgebracht hat?«, nuschelte Marsilius mit vollem Mund. »Ich könnte mir vorstellen, dass er Ambrosius gezwungen hat, Heinrich zu beerdigen. Aber dann wollte der Pfarrer den Mund nicht mehr halten, und er hat ihn erschlagen.«
Süßer Jesus – im Grunde habe ich Marx’ Opfer auf dem Gewissen, dachte Sophie mit rabenschwarzem Gewissen. Wenn sie die Pforte nicht aufgestoßen hätte, wäre er nicht entkommen. Was für ein geisterhafter Moment das aber auch gewesen war, als sie, fast ohne es zu merken, auf jeden Fall aber ohne eigenen Willen, das Tor aufdrückte. Sie fragte sich, ob Marx sie vielleicht in diesem Moment behext hatte.
Viel wusste sie ja nicht über das Treiben der Teufelsanhänger. In einem der Dörfer, die ihrem Vater gehörten, war einmal ein Bauer verhaftet worden, dessen Tiere absonderlich viel Milch gaben, während gleichzeitig bei denen seiner Nachbarn die Milch versiegte. Der Herzog von Jülich als oberster Gerichtsherr hatte, weil der Mann als eifriger Christ galt, ein Gutachten an der Universität von Köln in Auftrag gegeben. Dort hatte man den Fall untersucht, und schließlich gestand der Mann nach eindringlichem Zureden und unter der erdrückenden Beweislast, dass er über mehrere Wochen die Ställe der Nachbarschaft in Gestalt eines Igels aufgesucht und die Milch der Kühe gesaugt habe.
Und im Gesinde ihres Vaters hatte es einmal ein Kind gegeben, das ungewöhnlich leicht und schmerzlos geboren worden war. Einfach aus dem Bauch geflutscht, hatte die Hebamme voller Erstaunen erzählt. Die Mutter hatte daraufhin Angst gehabt, einen Werwolf geboren zu haben. Sie erzählte, dass sie zu Beginn der Schwangerschaft bei der Bohnenernte versehentlich durch die Nachgeburt eines Fuchses gekrochen war, und das galt allgemein als böses Omen. Zunächst weigerte sie sich, den Säugling zu stillen, doch der Pfarrer hatte ihr gut zugeredet. Was daraus geworden war, wusste Sophie nicht.
Sie verscheuchte die beängstigenden Gedanken, klingelte nach Theiß und befahl ihm, Gebäck aufzutragen, doch Marsilius’ Hunger war gestillt, und er stand auf und verschwand ohne Gruß in seiner Kammer. Als Dirk ebenfalls gehen wollte, hielt Sophie ihn auf. »Warte.«
Verwundert drehte der Burgvogt sich zu ihr um. Dirk war ein hagerer, sehr großer, etwa vierzigjähriger Mann mit einem struppigen Bart und tiefen Pockennarben im Gesicht. Während er sie musterte, fielen ihr zum ersten Mal die Lachfältchen um seine Augen auf. Er musste sie sich in besseren Zeiten zugelegt haben, denn seit sie auf der Burg war, hatte sie ihn niemals auch nur lächeln sehen. »Herrin?«, fragte er förmlich.
»Ich suche Josepha.«
»Josepha?«
»Nun! Die Magd, die dir den Haushalt führt und für die Burg die Wäsche besorgt. Ist dir noch gar nicht aufgefallen, dass sie verschwunden ist?«, fragte Sophie gereizt.
»Wird die Arbeit nicht getan?«
»Doch, aber nur, weil die anderen umso härter schuften und ihren Teil …«
»Sie wird bald zurückkehren.« Dirk wandte sich mit ausdruckslosem Gesicht wieder zur Tür.
»Bleib!« Sophie spürte ihren Ärger wachsen. »Josepha ist wie vom Erdboden verschluckt. Darum geht es mir. Niemand scheint zu wissen, wohin. Und das ist … unerhört. Sie kann doch die Burg nicht verlassen, ohne vorher meine Erlaubnis einzuholen!«
»Tut mir Leid, Herrin. Ich fürchte, das ist meine Schuld. Josepha ist zu ihrer Schwester gegangen. Das Weib ist krank, und ich habe ihr gestattet, sie eine Weile zu unterstützen. Ich dachte nicht, dass Ihr etwas dagegen haben könntet.«
»Das habe ich aber. Bei solchen Entscheidungen musst du mich fragen. Außerdem … Außerdem ist sie verschwunden, gerade als sie mir etwas zeigen wollte«, platzte Sophie heraus. »Und das
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