Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
verloren stehen. Man müsste der Gesellschafterin den Marsch blasen, dachte Julius. Elisabeth sollte nicht einfach zum Friedhof gehen. Wenigstens nicht allein. Hatte er das nicht schon mehrere Male angesprochen?
»Heinrich ist nicht im Krieg gefallen«, stellte Elisabeth fest und drehte sich zu ihm um. »Warum redet Ihr mir das ein, Julius? Ich weiß doch, was mein Junge mir zum Abschied gesagt hat. Er wollte zu dem Jesuiten, um den Brief zu holen. Er hatte überhaupt nicht vor, in den Krieg zu ziehen.«
»Ein Jesuit wollte ihm einen Brief übergeben?«
»Ja. Deshalb suche ich ihn doch. Weil ich Heinrich versprochen habe, den Brief weiterzugeben!«
Ein Brief von einem Jesuiten? Julius wusste, dass Elisabeths Verwirrtheit sie auf die seltsamsten Gedanken kommen ließ. Dabei ging es aber immer um Angelegenheiten aus ihrem Alltag. Um den Garten, um Wäsche, die ausgebessert werden mussten, um Geschirr, das einen Sprung hatte. Jesuiten gehörten ganz sicher nicht dazu. Woher also kam plötzlich diese Idee? Und was sollte das mit dem Herzog?
Ein ungeheuerlicher Verdacht stieg in ihm auf.
ür Sophie stand fest, dass sie mit Marsilius über Dirk und Josepha sprechen musste – egal, was Edith unternehmen würde, um sie daran zu hindern. In der Wildenburg geschahen Dinge, die nicht in Ordnung waren. Und es war ihre Pflicht, ihren Ehemann davon zu unterrichten. Vielleicht, dachte sie einen Moment sehnsüchtig, würden sie sogar ein richtiges Gespräch führen, wenn sie ihm ihre Sorgen mitteilte. Denn das war, abgesehen von ihrem Sohn, doch die Gemeinsamkeit, die sie mit ihm teilte und die Edith ausschloss: dass sie beide der Wildenburger Herrschaft vorstanden. Sie wollte ja gar nicht seine Liebe. Mit seinem Respekt und dem des Gesindes wäre sie schon zufrieden.
Sie verbrachte die Nacht schlaflos und konnte es kaum erwarten, dass die Burg wieder zum Leben erwachte. Mit den ersten Morgenstrahlen huschte Eva von ihrer Strohmatte zur Tür, vermutlich zum Abort. »Ist der Herr heute Nacht heimgekehrt?«, fragte Sophie, als sie zurückkehrte.
»Ich weiß nicht.«
»Dann geh und finde es heraus.« Sophie erhob sich und trat ans Fenster, hinter dem ein regnerischer Morgen anbrach. Bis gestern war es so schön gewesen. War der Wetterumschwung ein schlechtes Omen? Sie legte die Hand auf den Bauch, in dem ihr Kind wuchs. Als ein Windstoß durch das Fenster fuhr, zog sie die Schultern hoch. Fröstelnd drehte sie sich um und starrte in das Zimmer, das sie jetzt seit sechs Monaten bewohnte. Neben dem Kamin, der zu dieser Jahreszeit aus Gründen der Sparsamkeit nicht mehr angeheizt wurde, stand seit der vergangenen Woche eine Wiege. Marsilius hatte sie aufstellen lassen, voller Vorfreude auf den Sohn, den sie ihm schenken würde. Er sollte denselben Namen wie sein Vater tragen, hatte er bestimmt. Marsilius. Vielleicht würde der kleine Marsilius seine dunklen Haare erben. Oder ihre braunen. Er wird zu krabbeln beginnen und die Ärmchen nach mir ausstrecken, dachte Sophie und wartete darauf, dass sich etwas wie Mutterglück in ihrem Herzen regte. Aber das Herz blieb still. Vielleicht war es noch zu früh. Ihr fiel wieder die Frau von Dirk Wolpmann ein. Ob sie eine liebevolle Mutter gewesen war? Hatte es ihr vielleicht das Herz gebrochen, als ihre Kleinen alle am gleichen Tag von ihr gingen? War sie am Kummer gestorben? Oder war sie vielleicht schon vor ihnen tot gewesen?
Sophie hörte leichte Schritte aus der benachbarten kleinen Stube, Eva kam zurück. Sie schob die Gedanken an Dirks Frau beiseite. »Nun?«
»Der Herr ist immer noch fort. In der Küche sagen sie, er jagt wieder Marx von Mengersen und dass der Herr seinen Fuß nicht wieder auf die Schwelle setzen will, bis er seinen Kopf am Sattel trägt.«
»Wirklich?«
Eva kratzte einen Wachsflecken fort, der von einer Kerze auf das Tischchen vor ihr gefallen war. »Theiß sagt, man hat die Räuber bei Rescheid gesehen, und da ist der Herr gleich los. Dirk auch. Und Kaspar, weil er so gut schießen kann.«
Sophie spürte, wie ihre Tatkraft schwand. Wenn Marsilius seinen Erzfeind wirklich erwischte, würde er feiern wollen, und Spekulationen über Dirks Familie würden ihm nur die Stimmung verderben. Und wenn ihm der Leichendieb wieder durch die Finger schlüpfte, denn durfte man ihn erst recht nicht damit belästigen. Missmutig aß sie von dem Brei, den Eva ihr gebracht hatte, und trank den Himbeertee. Dann kehrte sie ins Bett zurück.
Als sie erwachte, war es
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