Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
nicht auf seine Pfaffen hören sollen. Ihr seht doch, was es uns gebracht hat«, brummelte Reinhard.
Ja, das Restitutionsedikt! Die Jesuiten hatten den frommen Kaiser überredet, mit Hilfe dieses Gesetzes den Protestanten die kirchlichen Güter zu entziehen, die man ihnen achtzig Jahre zuvor im Augsburger Religionsfrieden zugesprochen hatte. Und damit war das wacklige Einvernehmen zwischen den Religionen, das man so mühsam errungen hatte, ins Wanken geraten. Deutschland befand sich in einem Bruderkrieg, in den sich mittlerweile auch die Schweden, die Spanier, die Norweger und die Franzosen eingemischt hatten.
Zwar hatte der geniale Wallenstein die kaiserlichen Heere mehrere Male zum Sieg führen können, aber nach dem Friedensvertrag mit den Dänen hatten die Jesuiten durchgesetzt, dass Ferdinand ihn aus seinem Dienst entließ. Doch dann war der Schwedenkönig Gustav Adolf in Deutschland eingefallen, und der Kaiser hatte sich gezwungen gesehen, seinen fähigsten General zurückzuholen. Seitdem war die kaiserliche Residenz in Wien zum Wespennest verkommen. Das alles war kein Geheimnis und offenbar selbst dem treuherzigen Ignoranten Reinhard bekannt.
»Ich mag die Jesuiten nicht«, murrte er. »Warum kann nicht alles bleiben, wie es ist? Ich will Ruhe. Nichts als meine Ruhe.«
»Wie recht Ihr habt. Leider scheint es so zu sein …« Julius zögerte – und gab sich einen Ruck. »Der Brief, den Elisabeth erwähnte, wurde Heinrich angeblich von einem Jesuiten zugesteckt, und zwar mit dem Auftrag, ihn an Herzog Wilhelm von Jülich weiterzuleiten. Das ist die Sache, um die es geht.«
»Wie bitte? Ich denke, der Herzog ist neutral.« Entgeistert starrte Reinhard ihn an.
»Eben. Umso bestürzender wäre ein geheimer Briefwechsel. Offenbar scheint der Inhalt der Depesche so delikat zu sein, dass man einen Junker vom Land als Boten benutzte, um das Unternehmen zu verschleiern.«
»Herr im Himmel!«
Ganz genau, dachte Julius bekümmert.
»Ihr glaubt, dass unser Junge …« Reinhard hielt es trotz des Kopfwehs nicht mehr auf dem Bett. Er stand auf und stapfte mit gequältem Gesichtsausdruck durch den Raum. »Heinrich hat sich in die Politik hineinziehen lassen? Er hat sich als Spion für die Jesuiten … gegen Wallenstein …? Oh süßer Jesus, ist das widerwärtig! Nein, ich mag es nicht glauben, Julius. Heinrich war ein so liebenswürdiger Bengel, offen wie die Hand des Herrn. Er kannte kein Falsch. Er war kein Intrigant, der sich von jemandem vor den Karren spannen ließ.«
»Und doch hat er seiner Mutter von einem wichtigen Brief erzählt, den er von einem Jesuiten bekommen hat und den er an den Herzog weitergeben sollte. Und während er diesen Auftrag ausführte, wurde er ermordet.«
»Aber doch nicht von einem Außenstehenden. Marx von Mengersen hat ihn auf dem Gewissen – das hat man uns bestätigt. Dafür gibt es Augenzeugen! Oder … denkt Ihr etwa, dass Marx sich ebenfalls in die Politik einmischte? Was für Abgründe!«
»Marx war besessen von Wallenstein, daraus hat er nie ein Hehl gemacht«, konstatierte Julius nüchtern. »Kaum hatte man den Generalissimo wieder in sein Amt eingesetzt, wollte Marx zurück zu seinem Heer. Wenn er mitbekommen hätte, dass Heinrich sich auf die Seite seiner Gegner schlug …«
Reinhard blieb stehen. Sein Kinn sackte herab. »Natürlich!« Abscheu machte sich auf seinem Gesicht breit. »Dann bekäme alles plötzlich einen Sinn. Dieser ungeheuerliche Mord … Aber Heinrich im Dienst der Jesuiten? Er war doch beinahe noch ein Kind.«
»Ein Kind, das seine Zeit mit einem Mann verbrachte, der es liebte, dem Teufel auf der Degenspitze zu tanzen«, bemerkte Julius bitter.
»Nein, nein … Der Junge hatte Magdeburg miterlebt. Er war bis auf die Knochen entsetzt über das Massaker dort. Wie hätte er sich da noch auf die katholische Seite schlagen können?«
»Vielleicht hatte er für den Krieg an sich nichts mehr übrig. Vielleicht glaubte er wie viele andere Leute, dass all das Elend, das über das Land gekommen ist, durch die Protestanten verursacht wurde. Es waren Protestanten, die die katholischen Räte des Kaisers in Prag aus dem Fenster warfen. Und es waren Protestanten, die den schwedischen König mit seinen Söldnern nach Deutschland holten. Vielleicht glaubte Heinrich, der Kaiser würde dem Krieg ein Ende setzen.«
Einen Moment lang sah Julius Heinrichs Gesicht vor sich, in dem immer ein Lachen gesessen hatte, aber auch viel Wärme, Anteilnahme für
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