Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
Brotherrn ein Kissen auf dem Spannbett zurecht, auf das der Mann mit schmerzverzerrtem Gesicht niedersank.
»Wieso sucht Elisabeth nach Briefen?«, erkundigte Reinhard sich griesgrämig. »Sie hat seit Jahren keinen geschrieben, soweit ich mich entsinne. Ich glaube nicht mal, dass sie noch welche lesen könnte.« Er streckte die Beine aus und rieb seinen Nacken, um den Schmerz zu lindern.
Julius betrachtete den Mann mit dem blitzend weißen Spitzenkragen, den blanken Knöpfen und den pedantisch polierten Stiefeln. Reinhard war kein Mensch von großen Geistesgaben, dafür aber ordentlich und gründlich. Er war der Einzige aus Julius Bekanntenkreis, der selbst die Feiertage in seinem Arbeitszimmer verbrachte. Dort erstellte er Listen, verglich Daten und trug penibel ein, wer wo etwas anders machen müsse, damit das Gut noch mehr abwarf oder die Kosten verringert würden. Man mochte darüber lächeln, aber er hatte mit seiner Vorgehensweise Erfolg: Finanziell gesehen hatte Reinhard das heruntergewirtschaftete Gut seiner verwitweten Schwester wieder auf die Füße gebracht und sie wohlhabend gemacht.
Was Julius an dem kahlköpfigen Mann allerdings noch mehr schätzte, war die liebevolle Geduld, die er Elisabeth gegenüber an den Tag legte. Er hörte ihr zu. Er brachte ihr im Sommer und im Herbst ihre Lieblingsfrüchte aus dem Garten und im Winter Nüsse, die sie für ihr Leben gern knabberte. Und vor allem hatte er Heinrich gefördert. Julius konnte sich nicht entsinnen, dass Reinhard zwischen seinem Neffen und seinem eigenen Sohn Conrad jemals Unterschiede gemacht hätte. Das rechnete er ihm hoch an.
Der Mann auf dem Spannbett atmete aus. »Ihr werdet sie missverstanden haben, Julius«, brummte er. »Euch muss doch klar sein, dass meine Schwester dummes Zeug schwätzt. Ihr wisst, wie sehr ich Elisabeth verehre, aber es hilft nichts, drum herumzureden: Sie hat den Verstand verloren. Himmel, hört sich das grässlich an? Es ist der Kopfschmerz. Er zieht sich bis zu meinem Hintern, und ich fürchte, er wird mich die nächsten Tage begleiten. Könnt Ihr den Vorhang zuziehen? Elisabeth ist unfähig, einen Brief zu schreiben. Vergesst die Sache.«
»Es geht wohl auch eher um den Empfang eines Briefes«, erklärte Julius, während er der Bitte nachkam. »Wobei ich nicht einmal sicher bin, dass sie ihn wirklich erhalten hat, denn so wie ich es verstanden habe, kennt sie weder den Inhalt noch das Aussehen oder die Anzahl der beschriebenen Blätter. Und doch misst sie ihm größte Bedeutung zu.«
Reinhard atmete auf, als das Zimmer dämmrig wurde. Er presste die Fingerkuppen auf die Augenbrauen. »Ihr versucht mir etwas zu erklären, Julius, aber ich verstehe nicht, was. Könnt Ihr so liebenswürdig sein, klarer zu sprechen? Wenn Elisabeth einen Brief empfangen oder nicht empfangen hat, dessen Inhalt unbekannt und vermutlich völlig unwichtig ist …«
»Verzeihung. Ganz im Dunkeln tappen wir nicht.«
»Ach.«
Julius, der bisher gestanden hatte, ließ sich auf einem maurischen Lederstuhl mit abgewetzten Metallnägeln nieder. Er beugte sich vor und bedeckte sein Gesicht einen Moment lang mit den Händen. Ihm war klar, dass die Vermutungen, die er nun vor Reinhard ausbreiten musste, grässlich waren, weil sie Heinrich in den Schmutz ziehen würden.
»Ihr strengt mich an, mein Bester«, brummelte Reinhard.
»Verzeihung. Sicher kennt Ihr Euch mit der Politik am kaiserlichen Hof aus?«
»Gott bewahre!« Wenn Reinhard die Kraft gehabt hätte, hätte er wohl ein Kreuz geschlagen. »Bei Politik halte ich mich raus. Versteht Ihr? Es gibt in diesem Land zu viele kleine und große Herrscher, zu viele Religionen und zu viele Machtinteressen. Ich verabscheue diesen ganzen Sumpf. Politik bedeutet, dass Höfe in Flammen aufgehen und Städte niedergerissen werden und … Gut, Ihr werdet einen Grund haben, mich mit Politik zu quälen. Sprecht also.«
Julius verkniff sich ein Lächeln. »Es geht mir um Kaiser Ferdinand und die beiden Parteien, denen er wechselweise seine Gunst schenkt. Albrecht von Wallenstein auf der einen Seite und auf der anderen die Jesuiten. Pater Lamormain, der jesuitische Beichtvater des Papstes, schäumt und wirft Wallenstein vor, sich nicht stark genug für den wahren Glauben einzusetzen.«
»Er wirft ihm vor, dass er vor jedem Feldzug die Sterne befragt. Und damit hat er recht. Astrologie! Alles Teufelszeug und Firlefanz. Trotzdem hätte der Kaiser, was das Restitutionsedikt angeht, auf Wallenstein und
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