Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
verscheuchen.
Weitere Tage vergingen. Ende August wurde es entsetzlich heiß. Sophie hätte sich gern mit Hausarbeiten beschäftigt und das Gesinde beaufsichtigt, was ihr in letzter Zeit immer besser gelungen war, aber die Hebamme, die Marsilius mittlerweile in die Burg befohlen hatte, verbot es ihr. Das gesamte Haus fieberte Sophies Entbindung entgegen. »Können wir nicht wenigstens ein bisschen vor dem Tor spazieren gehen?«, schlug Sophie Gesche vor.
»Zu riskant«, entschied ihre Magd. »Denkt an Clara Wolpmann. Soll dem Kind so kurz vor der Geburt doch noch ’n Übel widerfahren? Wir müssen vorsichtig sein.«
»Ich halt’s aber nicht mehr aus.«
»Ruhe bewahren!«
Es war an diesem Tag so heiß, dass sich eine der Mägde den nackten Fuß verbrannte, als sie auf einen Stein trat. Erst der Sonnenuntergang brachte ein wenig Erholung. Sophie legte sich auf ihr Bett und umspannte mit den Händen den Bauch, in dem ihr Kind sich unruhig bewegte. Die Hebamme, für die im Zimmer ein Spannbett aufgestellt worden war, hielt ein Nickerchen. Gesche besorgte irgendetwas im Haus. In der Ecke surrte beruhigend Evas Spindel.
Als die Nacht hereinbrach, kam Marsilius und brachte Sophie einen weiteren Becher Himbeersud. Er sah übermüdet aus und war kurz und barsch und ging sofort wieder hinaus. Wahrscheinlich litt er unter der gleichen Anspannung wie sie selbst.
»Trinkt den Sud. Wer weiß, was uns heute noch bevorsteht«, ermunterte die Hebamme, die bei Marsilius’ Erscheinen aufgeschreckt war, ihre schwangere Patientin. Doch Sophie nippte kaum an dem Becher, und als die Frau die Kammer verließ, um etwas zu besorgen, ging sie zum Fenster und goss das Gebräu in den nächtlichen Hof.
»Mögt Ihr es nicht?«, fragte Eva, die als Einzige noch bei ihr im Zimmer war.
»Ich kann’s nicht mehr sehen«, gestand Sophie. Sie konnte auch ihr Bett nicht mehr sehen. Den Spiegel mit den grinsenden Äffchen … den Kamin, in dessen Schlot sich Staubfäden fingen … Allmählich begann sie das Zimmer, in das man sie gesperrt hatte, zu hassen.
»Soll ich Euch was anderes zum Trinken bringen?«
Sophie schüttelte den Kopf. Sie zündete die Kerzen auf dem Kamin an und legte wieder die Hand auf ihren Bauch. »Wo steckt denn Gesche?«
»Soll ich sie suchen, Herrin?«
»Nein … nein, lass nur.« Sophie wandte sich wieder zum Fenster und schaute in den Hof hinaus, wo sich nichts tat, außer dass im Zwielicht der Augustnacht zwei Katzen balgten. Eine wurde kurz darauf von einem Stalljungen eingefangen. Er verschwand mit ihr im Vorhof und sprach zärtlich und vorwurfsvoll auf sie ein. Es musste inzwischen auf Mitternacht zugehen, aber der Vollmond leuchtete in die Zimmer, so dass man nicht einmal eine Lampe zum Sehen brauchte. Überall sirrten Mücken.
Sophie kehrte müde zum Bett zurück und kroch unter die nass geschwitzten Decken. »Doch, Eva«, widersprach sie ihrem eigenen Befehl. »Schau nach, wo Gesche steckt. Ich will sie bei mir haben. Und bring auch die Hebamme zurück. Ich bin so unruhig.«
Das Mädchen huschte hinaus. Es kehrte rasch wieder zurück. »Ich war in der Küche, aber da ist Gesche nicht. Es hat sie auch keiner in den letzten Stunden gesehen.«
»Und die Hebamme?«
»Kommt, sobald sie fertig gegessen hat.«
Wenig später musste Sophie eine neue Untersuchung ihres Unterleibs über sich ergehen lassen. Die Hebamme wollte sich nichts vorwerfen lassen. Als sie fertig war, wühlte Sophie den Kopf in die Kissen, die nach ihrem Schweiß rochen. Sie versuchte gerade einzuschlafen, als ihr Leib plötzlich hart wurde und es in ihren Leisten zog. Es war kein richtiger Schmerz, aber sie fühlte, dass sich etwas tat. Begann die Geburt? Ihr Herz flatterte plötzlich vor Aufregung. Wo bei allen Heiligen steckte Gesche? Sie konnte sie doch nicht gerade jetzt im Stich lassen!
Die Hebamme fühlte ein menschliches Verlangen. Es gab einen Topf in der Kammer, den sie hätte benutzen können, aber jetzt auch noch Gestank? Sophie wies sie an, zum Abtritt in der Außenmauer des Wehrturms zu gehen.
»Vielleicht ist Gesche ja im Hexenturm«, meldete Eva sich schüchtern zu Wort.
»Wieso denn dort?«
Das Kind zuckte bei dem scharfen Klang ihrer Stimme zusammen. »Hatte sie das nicht gesagt, Herrin? Dass sie in den Turm gehen will?«
»Jesus und Maria – wann denn?«
Eva, die selbst jetzt, im unruhigen Schein der Kerzen, noch an einem Strumpf flickte, senkte die Hände. »Heute Nachmittag? Nein, ich glaube, es war später.
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